Studierende des Fachbereichs Konservierung und Restaurierung der HAWK in Hildesheim und Studierende der Lettischen Kunstakademie Riga / Latvijas Mākslas akadēmija und dem Baukolleg Riga / Rīgas Būvniecības koledža trafen sich vom 31.08.-14.09.2024 zu einem gemeinsamen, englischsprachigen Restaurierungsprojekt in Kuldiga, Lettland.

Ermöglicht wurde dieses Projekt durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Böckler-Mare-Balticum-Stiftung.

Internationale Kooperation von Studierenden bei der Mitarbeit in einem Großprojekt

Unter Leitung von Prof. Dr. Michael von der Goltz, Verw. Prof. Renate Kühnen und von lettischer Seite M.A. Zane Kēlere von der Kunstakademie Riga arbeiteten acht deutsche und sechs lettische Studierende gemeinsam an der barocken Altarausstattung der St. Trinitatiskirche Kuldiga. Das Projekt wurde begleitet durch Dace Čoldere als Vertreterin des Lettischen Denkmalamtes / Nacionālā kultūras mantojuma pārvalde und Eva Jordan-Fahrbach, Textilrestauratorin und Initiatorin der Deutsch-Lettischen Zusammenarbeit.
Der Dozent*innen-Austausch wurde organisatorisch unterstützt durch das International Office der HAWK und finanziert durch das Erasmus+ Programm der EU.

Nach einem herzlichen Empfang in Riga mit einer ausführlichen Domführung durch Domherr Ronalds Lūsis, einer Führung durch die neue Restaurierungsabteilung der Lettischen Kunstakademie / Latvijas Mākslas akadēmija und durch die Restaurierungsabteilung des Baukolleg Riga / Rīgas Būvniecības koledža hatten die Studierenden auch die Gelegenheit, hinter die Kulissen der anatomischen Sammlung der Stradiņš Universität Riga / Rīgas Stradiņa Universitāte zu blicken, bevor die Reise nach zwei Tagen zum eigentlichen Zielort Kuldiga fortgesetzt wurde.

Die St. Trinitatiskirche in Kuldiga

In dem seit Herbst 2023 als Unesco-Weltkulturerbe eingestuften Ort Kuldiga fanden umfangreiche Sicherungsarbeiten an der barocken Ausstattung der St. Trinitatiskirche statt. Erbaut wurde die Kirche ab 1640-42 als eine der ersten postreformatorischen katholischen Kirchen im Kurland. In den 1730er Jahren zunächst dem Verfall preisgegeben, wurde sie bis 1795 wiedererrichtet und erneut geweiht. Wichtigste Ausstattungstücke sind der große Beichtstuhl von 1691 mit allegorischen Malereien, eine Orgel mit Schnitzwerk des Libauer Schnitzers J. Slavichek von 1770, zwei Seitenaltäre von 1777/78, Peteris Reiss zugeschrieben, der Hochaltar von 1818, gestiftet von Zar Alexander I., sowie eine „Madonna mit dem Kinde“ aus dem 16. Jahrhundert.

Zu Beginn des 21. Jahrhundert wurde ein schwerer Insektenbefall des hölzernen Inventars festgestellt und 2009 die gesamte Kirche begast. Weite Teile der Ausstattung waren jedoch bereits stark zerfressen und beschädigt. Die Stabilität der Seitenaltäre, der Kanzel und des Orgelprospekts waren durch den Insektenfraß deutlich beeinträchtigt, die Fassung in weiten Teilen gelockert. Im Jahr 2020 kamen dramatische Schäden hinzu, als die Bekrönung des linken Seitenaltares herabstürzte und in zahlreiche Einzelteile zerbrach. Glücklicherweise wurden die Teile durch Zane Kēlere geborgen. In ihrer Erfassung des aktuellen Zustandes von 2023 wird der Zustand der herabgefallenen Bekrönung sowie des Wappens am Orgelprospekt von 1770 als besonders kritisch bewertet, weshalb diese Teile für das Studierendenprojekt ausgewählt wurden.

Die seit der Coronazeit unterbrochenen Arbeiten in der Kirche konnten in diesem Jahr durch die Unterstützung der Böckler-Mare-Balticum-Stiftung wieder aufgenommen werden.
Nach der Einrichtung einer provisorischen Werkstatt im Erdgeschoss des Pfarrhauses, konnte mit der Sichtung und der Dokumentation der Objekte begonnen werden, um ein Konzept zu entwickeln. Im Vordergrund stand die Bearbeitung der besonders stark geschädigten Teile. Aufgabe war, den vorhandenen Bestand vor dem Verlust zu bewahren, d.h. die stark gefährdete farbige Fassung zu sichern und das völlig zerfressene Holz zu konsolidieren. Dabei konnten die Studierenden verschiedene Materialien und Werkzeuge kennenlernen und gegenseitig über unterschiedliche Arbeitsweisen und Methoden diskutieren. Nach mehreren Proben wurde für die Konsolidierung der Fassung eine Methylcellulose mit hohem Ethanolanteil ausgewählt, die die feuchteempfindliche Fassung nicht anlöst und außerdem eine gute Alterungsbeständigkeit besitzt. Für die Festigung der Holzsubstanz wurde ein gelöstes Acrylharz verwendet, das über Kanülen langsam in die Fraßgänge eingebracht wurde.
Die Arbeiten an der Sicherung der Fassung und der Konsolidierung des Holzes des herabgestürzten Strahlenkranzes konnten durch die gemischten deutsch-lettischen Arbeitsgruppen innerhalb von 14 Tagen weitgehend abgeschlossen werden. Außerdem konnte das Wappen des Orgelprospektes vollständig gefestigt und gereinigt werden. Weitere Arbeitsschritte, wie das Zusammenfügen und die Verleimung des Strahlenkranzes, stehen allerdings noch aus.

Lettischer Fernsehbeitrag

Land und Leute

Die Studierenden wohnten in dem idyllisch, am breitesten Wasserfall Europas, gelegenen Hostel „Ventas Rumba“ unweit der Kirche. Dort konnten sie sich nach der Arbeit am Wasser abkühlen oder sich in gemeinsamen Aktivitäten besser kennenlernen. Zur Halbzeit wurde mit Lettischem Knoblauchbrot und der Verkostung Lettischer Bier- und Kwass-Sorten stilvoll gefeiert. Am Wochenende fuhr die Gruppe gemeinsam mit dem Bus nach Durbe und Liepāja an der Küste, um etwas mehr vom Land zu erkunden.

Austausch

Diese internationale Kooperation ermöglichte den Studierenden aller drei Hochschulen einen interessanten Austausch, intensive Kontakte und wertvolle Erfahrungen bei der Umsetzung eines Großprojektes in die Praxis. Neben den wertvollen fachlichen Erfahrungen und einem großen Stück geleisteter Arbeit konnten alle Teilnehmer*innen einen herzlichen und tiefen Einblick in die lettische Kultur gewinnen. Mit vielen tollen Eindrücken sind wir wieder zurückgekehrt.

Beteiligte Studierende

HAWK: Jasmine Brenner, Mathilda Holschneider, Greta Kahlmann, Linus Meidinger, Steffen Patt, Carina Pfänder, Fenja Rathgeb, Aileen Schregel
Lettische Kunstakademie Riga: Valērija Petrova, Laura Vucena, Rēzija Zegnere
Baukolleg Riga: Leva Lauža, Ance Murāne, Marta Upīte

Eckdaten zum Projekt

Studiengang
B.Sc. Konservierung und Restaurierung
M.Sc. Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft

Studienbereich
Konservierung und Restaurierung

Weitere Projektbeteiligte
Böckler-Mare-Balticum-Stiftung

Lettische Kunstakademie Riga / Latvijas Mākslas akadēmija
M.A. Zane Kēlere

Baukolleg Riga / Rīgas Būvniecības koledža
Māris Jēkabsons

Lettisches Denkmalamt / Nacionālā kultūras mantojuma pārvalde
Dace Čoldere

Römisch-katholische Kirche St. Trinitatis, Kuldiga / Sv. Trīsvienības Romas katoļu baznīca, Kuldīga
Vjačeslavs Bogdanovs

Eva Jordan-Fahrbach, Initiatorin der Deutsch-Lettischen Zusammenarbeit

International Office der HAWK
Annika Tiefel

Zeitraum
Dieses Angebot wurde als Projekt in den Semesterferien im Sommersemester 2024 durchgeführt.