HAWK-Studierende veröffentlichen Masterarbeit als interaktiven Instagram-Film
Ohne Frage ist die Skip-Funktion schon lange nicht mehr nur ein Schalter auf dem CD-Player. Im Gegenteil: Sie hat sich mittlerweile zu einem populären medialen Phänomen entwickelt. Die GEMA denkt beispielsweise über ein Streamingmodell nach, welches erlaubt, direkt beim Radiohören Songs zu skippen. Der Streamingsdienst Netflix arbeitet an einer Skip-Funktion, womit das Publikum unangenehme Inhalte per Knopfdruck überspringen kann. Aber was machen diese neuen Möglichkeiten mit uns?
Wie sich Form und Inhalt fanden
Bei der Suche nach Antworten haben sich Verena Stürzebecher und Marius Remmert in ihrer Masterarbeit skip_instathesis mit dem Phänomen des Skippens beschäftigt und dabei eine neue Form der Präsentation von wissenschaftlichen Arbeiten gestaltet: „In kaum einem anderen Medium ist das Skippen derart präsent wie in dem sozialen Netzwerk Instagram. Deshalb lag die Idee nahe, unsere Masterarbeit direkt auf dem Mobiltelefon und auf dieser Plattform erfahrbar zu machen“, erklären die beiden und verweisen auf den kanadischen Kommunikationstheoretiker und Philosophen Marshall McLuhan, der sagte: „The medium is the message.“ Ihr Betreuer Dr. Stephan Schwingeler, Professor für Medienwissenschaft an der HAWK-Fakultät Gestaltung, unterstützt den Gedanken: „Der Schritt war günstig, weil dadurch Form und Inhalt perfekt zusammenpassen: Eine wissenschaftliche Arbeit, in der es ums Skippen geht, veröffentlicht auf einer Plattform, die sich gerade dadurch auszeichnet.“
Während ihrer Arbeit haben Stürzebecher und Remmert ihre ursprüngliche Idee stark verändert: Sie wollten eigentlich einen interaktiven Film nach dem Vorbild der Netflix-Produktion „Bandersnatch“ drehen, in dem die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst den Verlauf der Handlungen durch ihre Entscheidungen mitbestimmen können. Diese von der Gamingkultur inspirierte Form des Films verwarfen die beiden aber nur insofern, dass sie es an die Umgebung des sozialen Netzwerks Instagram anpassten. Hier trafen die beiden auf das perfekte Medium, denn wenn irgendwo sekündlich geskippt wird, dann bei Instagram. „Dieser Schritt war konsequent, da Instagram für das Projekt eine direkte Verbindung von Inhalt und Form ermöglicht. Vorbild dafür war der Comic-Klassiker „Understanding Comics“ von Scott McCloud. Hier wird das Medium in und durch sich selbst beschrieben. Ähnliches gelingt den beiden jetzt mit dem Thema „Skippen“. Es ist von den beiden ein mutiger Schritt – sowohl thematisch als auch formal“, urteilt ihr Prüfer Christian Mahler, Professor für Motion Design an der HAWK-Fakultät Gestaltung.
Entsprechend haben die beiden all ihre Forschungsergebnisse in eine Collage aus kurzen Animationen, Interviewsequenzen und Videoauschnitten gegliedert und auf ihrem eigenen Profil @skip_instathesis versammelt. „Das ist absolut neu, und Instagram ist eine Plattform, auf der sich audiovisuelle Inhalte hervorragend veröffentlichen lassen. Was für ein Content das ist, ist natürlich erstmal nicht definiert. Daher lassen sich auch wissenschaftliche Inhalte publizieren“, erklärt Prof. Dr. Schwingeler. Auch Prof. Mahler unterstützt diese Form der Veröffentlichung: „Social-Media-Kanäle dienen heute für fast alles. Warum sollte man dann nicht auch Abschlussarbeiten veröffentlichen, um akademische Themen in die Welt zu tragen? Nirgendwo sonst bekommt man soviel Resonanz".
Skippen als Haltung
Auf skip_instathesis können die Besucherinnen und Besucher zu jeder Zeit auf die Inhalte zurückgreifen. Wenn etwas auf besonderes Interesse stößt, kann der Film angehalten, wenn etwas irrelevant erscheint, übersprungen werden. Damit kann die Arbeit als ein Experiment verstanden werden, die Mauern zwischen dem akademischen und dem fachfernen Publikum zu durchbrechen, ohne wissenschaftliche Standards zu vernachlässigen. Dabei nutzten die beiden neben der Ausschöpfung aller bei Instagram verfügbaren Möglichkeiten wie Instagram-TV, Reels, Feed-Posts, Verlinkungen, Hashtags und Stories auch einen speziellen Humor: Vor allem, wenn Marius Remmert die Rolle des genervten Users spielt, der mit Schnauzbart, Fliegerbrille und Trainingsanzug irgendwo zwischen Game-Nerd, Hipster und 80er-Jahre-Proll einzuordnen ist.
Insgesamt ist es dem Duo gelungen, das Thema äußerst unterhaltsam aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, wodurch die beiden erkannten, dass die Skip-Option nicht nur ein nützliches Feature, sondern mittlerweile zum Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung geworden ist: Nämlich dem Drang, uninteressante und redundante Inhalte ausblenden zu wollen. Die Ausprägung sowie die Beweggründe für dieses „Skip-Verhalten“ sind an dieser Stelle vielschichtig: „Immer mehr mediale Inhalte prasseln über den Tag verteilt auf uns ein, weshalb das Skippen eine gute Möglichkeit darstellt, in der Informationsflut bewusster priorisieren zu können. Gleichzeitig fühlen wir uns vermehrt unter einem Zeit- und Erwartungsdruck, weshalb Dauer und Stillstand weniger ausgehalten werden können. Hinzu kommt, dass sich unsere Aufmerksamkeitsspanne in den letzten 20 Jahren dramatisch verringert hat und für die Unterhaltungsindustrie zu einem raren Gut avanciert ist“, erklären Stürzebecher und Remmert.
Mehr bewusste Pausen helfen
Aus den gesammelten Erkenntnissen konnten sie einen ersten Lösungsansatz entwickeln: „Pausen können in der heutigen Zeit einen besonderen Stellenwert einnehmen. Wenn wir ununterbrochen skippen und die Zwischenräume über den Alltag verteilt mit Inhalten füllen, wird unsere Aufmerksamkeit permanent beansprucht, sodass Informationen schlechter verarbeitet werden können. Wenn wir jedoch die Abstinenz von Tönen und Bildern aushalten und als bewusste Pause wahrnehmen, kann dies zu einer gesteigerten Form von Aufmerksamkeit führen, sodass wir uns wieder besser auf neue Medien einlassen können,“ erklären die beiden Studierenden. Trotzdem betonen sie, dass es zu früh sei, ein abschließendes Urteil zu fällen, da es sich bei dem Forschungsthema um komplettes Neuland handelt und es weitere Studien benötigt, um das „Skip-Verhalten“ gezielter zu analysieren. „Skippen ist eine Kulturtechnik und ein aktuelles Medienphänomen. Daher sollte es selbstverständlich Teil der medienwissenschaftlichen Forschung sein“, erklärt Prof. Dr. Schwingeler. Somit dürfte die Arbeit von Stürzebecher und Remmert einer der ersten Schritte in diese Richtung sein. Das glaubt auch Prof. Mahler: „Ich denke, dass diese Arbeit wirklich die erste ihrer Art auf Instagram ist. Aber sie baut natürlich auf etablierten Formaten auf. So gibt es inzwischen viele filmische Researchpaper beispielsweise aus den Filmwissenschaften. Ich kann mir gut vorstellen, dass Instagram in Zukunft auch anspruchsvollere Inhalte bekommt. Das Projekt zeigt ja, wie es funktionieren kann.“
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