Das bundesweit beachtete Modell-Konzept HAWK-Kinder ist jetzt komplett gestartet. Nachdem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Frühjahr dieses Jahres die HAWK-Modellkrippe in der Tappenstrasse schon als „Trendsetter in Deutschland“ gewürdigt hat, ist jetzt auch der Studienbetrieb im neuen Bachelor-Studiengang für Erzieherinnen und Erzieher an der Hochschule in Hildesheim aufgenommen worden.
„Sie, liebe Studierende, gehören jetzt auch zum Team. Treiben Sie unser Projekt mit voran“, begrüßte HAWK-Präsident Prof. Dr. Martin Thren die Studierenden bei einer Feierstunde im Goschentor. Pioniergeist und manches Mal auch Durchhaltevermögen seien notwendig gewesen, um das in Deutschland einzigartige Konzept aus Studiengang und kooperierender Modellkrippe zu realisieren. „Pioniergeist und Durchhaltevermögen – beide Tugenden werden wir weiter brauchen. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und spannende Studienzeit, die Ihnen und später Ihren Zöglingen neue Wege in die Welt eröffnen möge“, sagte er.
Weniger als ein Dutzend Hochschulen in Deutschland bieten bisher Studiengänge für Erzieherinnen und Erzieher an. Die HAWK gehört dazu.
„Wir, das sind die Hochschulen und Sie, die Studierenden, wollen einen Stein ins Rollen bringen. Wir wollen, dass der Betreuung unseres Nachwuchses in jeder Hinsicht endlich der Stellenwert beigemessen wird, den sie verdient“, betonte der HAWK-Präsident. In diesem Zusammenhang sei ganz besonders bemerkenswert, dass der HAWK noch jemand beim Anschieben des Steins fachkundig und tatkräftig helfe, nämlich die Kooperationsschulen der HAWK. Auch sie sind Trendsetter, die Hildesheimer Herman-Nohl-Schule und die Alice-Salomon-Fachschule in Hannover. Beide sähen die Hochschulausbildung für Erzieherinnen und Erzieher nicht als Konkurrenz für ihre Fachschulen, sondern nutzten die Chance, Neues zu gestalten und ihr großes Know-how einzubringen.
Jens Harms, Leiter der Hildesheimer Herman-Nohl-Schule, betonte auch im Namen seines Kollegen Dr. Matthias Gleitze, Schulleiter der hannoverschen Alice-Salomon-Schule, dass es nicht nur sinnvoll, sondern auch wegweisend sei, die Fachschul- und die Hochschulausbildung miteinander zu verzahnen: „Wir haben gemeinsam mit der HAWK das letzte Tor für ein offenes und durchlässiges Bildungssystem aufgestoßen.“ Die Kooperation der HAWK mit den beiden berufsbildenden Schulen sei unterdessen auch die Basis für einen Schulversuch des Landes Niedersachsen geworden.
Die HAWK und beide Fachschulen haben das Lehrangebot des neues Studiengangs Bildung und Erziehung im Kindesalter gemeinsam konzipiert, die Lehrpläne in Module strukturiert und aufeinander abgestimmt. Dies erleichtert Fachschülerinnen und -schülern den Übergang zu einem Hochschulstudium. Prof. Dr. Maria Busche-Baumann, Dekanin der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, verglich die gelungene Kooperation bei der Entwicklung des neuen Bachelor-Studiengangs mit dem Flug der Wildgänse: „Jeder Flügelschlag schafft Aufwind für den nächsten Vogel.“ So habe sich das Entwicklungsteam gegenseitig beflügelt und der Erfolg gab der Arbeit Recht. Der Studiengang ist ohne jede Auflage akkreditiert, das heißt genehmigt worden, was keine Selbstverständlichkeit ist.
„Bildung und Erziehung im Kindesalter“ startet mit 30 Studienplätzen. Zunächst müssen alle Studierenden eine abgeschlossene Fachschulausbildung oder eine vergleichbare Eignung haben. Geplant ist aber, dass der Studiengang auch grundständig, dass heißt, mit Fachhochschulreife ohne vorherige Ausbildung studiert werden kann. Für dieses Wintersemester 2006/2007 konnte die HAWK 32 Bewerberinnen und Bewerber zulassen, 17 davon haben sich schon eingeschrieben. Das Verfahren läuft noch.
Die Leiterin des Studiengangs, Verwaltungsprofessorin Dr. Silke Hetzer lenkte das Augenmerk bei der Feierstunde noch einmal auf die bildungspolitische Dimension des neuen Bachelor-Studiengangs für Erzieherinnen und Erzieher: „Derzeit haben in Deutschland nur 3,3 Prozent der Fachkräfte in der Kinderbetreuung eine akademische Ausbildung, während in anderen Ländern 63 Prozent der Fachkräfte eine Hochschule besucht haben.“ Deutschland wird hier aufholen, dazu trägt auch unser Studiengang bei, sagte Hetzer. „Das Besondere an unserem Modell-Konzept HAWK-Kinder ist“, betonte auch die Projektleiterin Familiengerechte Hochschule und Initiatorin der Modellkrippe, Ingrid Haasper, „dass wir die frühkindliche Bildung als gleichberechtigten Baustein in der Bildungskette begreifen.“
Dass diese Haltung überhaupt nicht selbstverständlich sei, zeige allein schon ein Blick auf die Ausbildungsanforderungen und anschließenden Gehälter oder Besoldungen im deutschen Bildungssystem, analysierte auch Festrednerin Prof. Dr. Elke Kruse von der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin. Erzieherinnen und Erzieher bräuchten nur eine Fachschulausbildung, während Lehrerinnen und Lehrer ein Studium absolvieren müssten. Dieses Gefälle spiegele sich auch in der Bezahlung wider. „Wie kann das sein, dass für die Kleinsten so wenig übrig bleibt?“, fragt Kruse. In einem kurzweiligen Vortrag prognostizierte sie die Entwicklungen in den kommenden zehn Jahre quasi als Rückblick: „Stellen Sie sich vor, es ist 2016. Wir feiern zehnjähriges Bestehen: Der Bachelor-Studiengang Bildung und Erziehung im Kindesalter ist mit Sozialpädagogik und dem Grundschullehramt verzahnt. Ein Master-Studiengang ist etabliert, Doktorandinnen und Doktoranden legen ihre Arbeiten vor und die erste Absolventin wird zur Professorin berufen.“
Die Ersten:
Ein bisschen fühlen sie sich tatsächlich wie die Pioniere, die ersten Studierenden des neuen Bachelor-Studiengangs Bildung und Erziehung im Kindesalter. Aus Lippstadt bei Paderborn sind Katharina Reimer (23) und Carina Puttmann nach Hildesheim gekommen. Beide haben gerade ihre Ausbildung zur Erzieherin abgeschlossen und wollten sich unbedingt in ihrem Fach weiterbilden.
Die 25-jährige Bedia Ayyildiz möchte später im Ausland arbeiten, entweder in ihrem Heimatland Türkei oder anderswo: „Hauptsache ist, dass ich selbstständig und unabhängig bin und das kann ich besser, wenn ich studiert habe.“ Christian Rockstroh (20) stammt aus Jena. Sein Zivildienst in einer Einrichtung für Schwererziehbare ist ihm anerkannt worden, so dass er auch zum Studium zugelassen wurde. „Ursprünglich wollte ich Musik studieren. Dann hat mich aber die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen viel mehr interessiert“, erzählt er. Natalie Naschilevski (21) und Yvonne Schubert (23) haben die Hildesheimer Herman-Nohl-Schule besucht und sind sozusagen Kooperationsstudentinnen.
Ilka Kalbe ist schon 34 Jahre alt und hat schon einiges an Berufserfahrung. Sie ist gelernte Kinderkrankenschwester, hat danach Sozialpädagogik studiert und drei Jahre in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet. Vor elf Monaten ist ihr Sohn geboren und sie hat drei Jahre Elternzeit eingeplant. Diese Phase aber wollte sie nicht ausschließlich mit der Kinderbetreuung verbringen und hat sich jetzt für ein weiteres Studium in Hildesheim entschieden. Da ihr Mann selbstständig als Dozent an der Uni Hannover arbeitet, können sich beide die Kinderbetreuung teilen. Ilka Kalbe interessiert beim Studium vor allem für eine wissenschaftliche Laufbahn.