HAWK-Student teilt Erfahrungen aus Syrien in einem Schatten-Theaterstück

Erscheinungsdatum: 12.12.2022

HAWK-Student Wesam Ajini hat die letzten Wochen vor seiner Flucht aus Syrien in einem Schatten-Theaterstück verarbeitet. Die reduzierte und dennoch eindrückliche Inszenierung „Zwei Brüder“ hat er nun im Rahmen der „Querwoche“ der Hildesheimer HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit aufgeführt.

Zwei Brüder, gespielt von Wesam Ajini und Zardaschat Ibrahim, verstecken sich allein in ihrer Wohnung in einer belagerten syrischen Stadt. Wochenlang leben sie teils ohne Strom und kämpfen mit der Langeweile, dem Hunger und der Angst. Immer wieder fragt Ajini in der Rolle des jüngeren Bruders: „Werden wir heute Nacht sterben?“.

 

Der ältere versucht zu trösten und denkt sich immer neue Aufgaben aus, die sie vor dem Sterben erfüllen müssen: den Abwasch erledigen, ein Freiheitslied singen, einen Liebesbrief schreiben. Nur selten wagen sie einen Blick durch das fast vollkommen zugemauerte Fenster auf die Straße, in der der Krieg tobt. Am Ende bleiben große Fragen: Sollen wir gehen oder bleiben? Verlieren wir unsere Würde, wenn wir unsere Heimat verlassen? Sollten wir bleiben, um zu Hause zu sterben?

Ein dünner Vorhang trennt dabei die Schauspieler vom Publikum. Für das Schattenspiel verwendet Ajini kaum Requisiten. Ein Overheadprojektor wirft Zeichnungen von Fenster und Tisch auf den Vorhang. Dafür nutzen die Schauspieler die Möglichkeiten, die das Schattenspiel bietet, stellen beispielsweise Angst und Hoffnung der Brüder mit Hilfe der Schattengröße dar. „Ich finde Schattentheater viel stärker als direktes Theater“, erklärt Ajini, der das Stück gemeinsam mit Hamod Al Refai geschrieben hat. Gefühle ließen sich durch die Illusionen der Schatten noch auf anderen Ebenen darstellen. „Außerdem wollte ich ein Stück schreiben, das ohne viele Materialien, eine große Bühne und zusätzliche Finanzierung auskommt.“ So organisierte er die gesamte Vorstellung lediglich mit der Unterstützung zweier Kommiliton*innen: Omar Alkhudr war für die Musik verantwortlich, Yelyzaveta Blikharska lieferte die Zeichnungen und bediente den Overhead-Projektor. Akhudr stammt ebenfalls aus Syrien und studiert, gemeinsam mit Ajini, Soziale Arbeit an der HAWK. Blikharska kommt aus der Ukraine und studiert im Masterstudiengang Gestaltung.

Die Idee zu dem Stück kam Ajini durch die Aufzeichnungen, die er in seinen letzten Wochen in Syrien gemacht hat. In Notizen hielt er damals seine Gefühle fest. „Ich wollte meine eigenen Erfahrungen zeigen“, erinnert er sich. „Und Theater ist meiner Meinung nach die einzige Methode, eine solche Geschichte zu erzählen.“ Zum Theater führte Ajini ursprünglich seine Liebe zur Literatur und sein schauspielerisches Talent. Schon als Kind imitierte er Menschen aus seiner Umgebung zur Belustigung seiner Familie. In Deutschland fing er an, in einem Theaterverein zu spielen – zu Beginn ganz ohne Deutschkenntnisse. Sein eigenes Stück konnte er zunächst mit der Freien Bühne Wendland aufführen.

Die Idee, das Stück auch an der HAWK zu zeigen, entstand im Seminar „Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen“ von Jelena Seeberg. Sie stellte den Kontakt zu Verwaltungsprofessorin Annli von Alvensleben her, die an der HAWK im Bereich Theaterpädagogik lehrt. Von Alvensleben machte die Aufführung im Theaterraum der HAWK möglich.

So konnten Wesam Ajini und Zardaschat Ibrahim noch einmal vor einem kleinen Publikum spielen. Am Ende treten sie vor den Vorhang und suchen das direkte Gespräch mit den Zuschauenden. Unter ihnen sind einige Personen mit eigenen Fluchterfahrungen, die ihre Erlebnisse in dem Stück wiedererkennen und sich bei den Studierenden bedanken. Auch wegen Rückmeldungen wie diesen möchte Ajini sein Stück noch mit möglichst vielen Menschen teilen. „Ich würde mich sehr freuen, wenn weitere Aufführungen an anderen Orten zu Stande kommen könnten.“