Göttinger Medizintechnik-Publikation in Fachzeitschrift „Nature Reviews"
Dies unter der Voraussetzung, dass Wearables künftig als Medizinprodukte zugelassen werden. Prof. Dr. Christoph Russmann und Dr. Sinje Gehr von der Göttinger HAWK-Fakultät Ingenieurwissenschaften und Gesundheit sind die Verfasser der „Nature“-Publikation und zeigen in ihrem Artikel auf, inwiefern Wearables, zu medizinischen Zwecken genutzt, das Potential haben, den bestehenden Markt radikal zu verändern.
Zu den Wearables werden unter anderem Smartwatches oder Fitnessarmbänder gezählt. Wurden im Jahr 2014 weltweit noch 28,8 Millionen davon verkauft, sind es heute schon mehr als 533 Millionen. In ihrem Ausblick in die klinische Nutzung der mittlerweile für viele zum wertvollen Sport-Begleiter gewordenen Wearables, beleuchten Gehr und Russmann, inwiefern die Geräte, rund um die Uhr eingesetzt, ebensolche wertvollen Begleiter für medizinische Erhebungen wie Prävention, Diagnose und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden können. Sie erörtern Strategien für eine sichere Umwidmung dieser Lifestyle-Produkte in Medizinprodukte.
Big Data-Technologie für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Russmann, Fachgebietsleiter für Medizintechnik und Dekan Gesundheit am Gesundheitscampus Göttingen (GCG), einer Kooperation der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der HAWK - Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen, sowie Sinje Gehr, ab 1. September Professorin für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen, sind sich sicher: „Es ergäben sich beim medizinischen Einsatz von Smartwatch & Co. für die noch besser auf den Patienten abgestimmte Therapie und deren Erfolg insbesondere in der kardiovaskulären medizinischen Behandlung ungeahnte Möglichkeiten.“
Ein ganzes Feld medizinischer Daten läge derzeit noch ungenutzt brach. Sowohl Patient*innen wie auch Ärzt*innen und langfristig das gesamte Gesundheitssystem könnten jedoch von der Nutzung der durch die Wearables erhobenen Werte profitieren – wenn sie denn als medizinische Geräte zugelassen würden. „Das“, erläutern die beiden Forschenden, „wäre mit diesen bequem und dauerhaft zu tragenden Lifestyle-Gadgets einfach zu erreichen. Sie hätten das Potenzial, die personalisierte Medizin zu revolutionieren.“ So böten Smartwatches schon jetzt verschiedene Diagnosemöglichkeiten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, darunter auch ein Elektrokardiogramm (EKG), das eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung von Patient*innen möglich macht. Außerdem könne mit ihnen der Therapieerfolg verfolgt und die Therapie aufgrund engmaschig erhobener Werte ganz individuell angepasst werden. Das EKG könne helfen, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und in schweren Fällen sogar Leben zu retten. Die enorme Menge an Gesundheitsdaten erleichtere gleichzeitig eine umfassende Analyse der Werte mittels Big Data-Technologie, so dass Krankheitsverläufe besser vorhergesagt und Krankheiten in einem sehr viel früheren Stadium identifiziert werden.
Von der Smartwatch zum Medizinprodukt
Um sinnvoll und sicher in der Medizin eingesetzt werden zu können, müssten Wearables jedoch als Medizinprodukt zugelassen werden. In den USA wie auch in Europa unterliegen diese Produkte strengen Vorschriften, die zu hohen Entwicklungs- und Zulassungskosten führen. Auf der einen Seite behinderten diese Regulierungen Innovationen wie ebendiese Weiterentwicklung von Lifestyle-Gadgets zu medizinischen Produkten. Auf der anderen Seite seien die Vorschriften notwendig, um die hohe Qualität von Medizinprodukten zu gewährleisten und eine Gefährdung von Patient*innen zu vermeiden.
Zwar besäßen bekannte Konsumgüterkonzerne die finanziellen Mittel, um kostspielige Medizinprodukte-Entwicklungen zu finanzieren, strategisch mache es aber nur bedingt Sinn, den volatilen Konsumgütermarkt mit sehr kurzen Innovationszyklen mit dem hochregulierten Medizintechnik-Markt zu vermischen, fassen die beiden Medizintechnik-Expert*innen zusammen. Das schaffe Chancen für Medizintechnik-Firmen, Software-Firmen und Start-Ups, sich in dem hochprofitablen Markt zu profilieren. Dies seien oftmals kleine und mittelständische Unternehmen. Daher müsste neben transparenten regulatorischen Anforderungen durch die Behörden auch geschultes Personal für die komplexen Zulassungsprozesse und ausreichend Kapital für die Entwicklung und Zulassung der Medizinprodukte zur Verfügung stehen. Für letzteres schlagen beide spezialisierte Risikokapitalgeber*innen vor, die den Markt und seine spezifischen Anforderungen kennen.
Nur 1.000 von 10.000 Artikeln werden berücksichtigt
Gehr und Russmann freuen sich darüber, dass es gelungen ist, „mit unserem Thema bei einem der angesehensten Wissenschaftsmagazine überhaupt berücksichtigt worden zu sein.“ „Nature“ gilt als die meistzitierte interdisziplinäre Fachzeitschrift. Jährlich werden von Forscher*innen weltweit rund 10.000 Publikationen eingereicht. Nach Prüfung durch die fachwissenschaftlich ausgebildeten Redakteur*innen schaffen es davon nur knappe 1.000 in das wöchentlich erscheinende Heft.
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