Studentin beschäftigt sich mit Brutalismus-Bau und gewinnt bei ICOMOS-Wettbewerb

Erscheinungsdatum: 16.11.2021

Kaum eine Stilrichtung in der Architektur ist so umstritten wie der Brutalismus. Sollten die „Betonklötze“ der 60er und 70er Jahre einfach abgerissen oder – ganz im Gegenteil – unter Denkmalschutz gestellt werden? Auch Patricia Huperz, Masterstudentin der Architektur an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen, musste sich erst in ein ganz bestimmtes Gebäude „verlieben“, um die Faszination an der Brutalismus-Architektur nachvollziehen zu können.

Nun hat sie mit ihrer Arbeit zur Universitäts- und Stadtbibliothek Köln (USB) beim ICOMOS-Studierendenwettbewerb „60plus – Brutalismus“ gewonnen.

 

Der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) lobt alle zwei Jahre den Nachwuchswettbewerb „60plus“ aus, um Architektur aus den 60er bis 90er Jahren in das Blickfeld der Denkmalpflege zur rücken. In diesem Jahr sollten sich die Teilnehmenden der Stilrichtung Brutalismus widmen. Dafür wählten sie besondere Bauwerke aus, um sie in Plakatform vorzustellen und ihre historische Bedeutung sowie die Möglichkeiten der Erhaltung und Nutzung zu erörtern.

Bauwerke des Brutalismus zeichnen sich besonders durch den sichtbaren, unbehandelten Beton und durch eine monumentale Formensprache aus. Heute gelten viele dieser Objekte als „Bausünden“ und „Betonmonster“, zeigen teils erhebliche Alterungserscheinungen oder sind sogar vom Abriss bedroht. Auch die USB, die zwischen 1964 und 1968 erbaut wurde, sei in der Bevölkerung nicht ganz unumstritten, berichtet Huperz, die selbst aus der Kölner Region stammt und so auf das Gebäude des Architekten Rolf Gutbrod aufmerksam wurde. Doch als sie die Bibliothek persönlich besuchte, habe sie sich gleich in das Gebäude verliebt. Zum Beispiel wegen der besonderen Fassade des Magazintraktes: „Die wabenförmigen Öffnungen in der Fassade wurden so gestaltet, dass sie Licht hereinlassen und gleichzeitig die Bücher vor der direkten Sonneneinstrahlung schützen“, erklärt die HAWK-Studentin. „Von außen bekommt der Gebäudeteil dadurch fast eine Leichtigkeit, die man sonst vom Brutalismus gar nicht erwartet.“. Dass an den Betonoberflächen innen und außen am Gebäude noch immer die Schalung aus dem Herstellungsprozess erkennbar ist, sei dagegen typisch für den Brutalismus und gleichzeitig sehr beeindruckend. „Man sieht, wie die einzelnen Bretter aneinandergesetzt wurden. Man kann sich kaum vorstellen, wie aufwändig das war.“

Zu diesem ehrlichen Umgang mit Baumaterial gehöre zum Beispiel auch, dass technische Installationen offen sichtbar seien, so Huperz. „Da wurde keine Decke abgehängt, um etwas zu verstecken. Das ist wirklich sehr spannend.“  Was das Gebäude außerdem noch so erhaltenswert mache, sei die besondere Gestaltung der Innenräume, die nicht durch Wände, sondern über unterschiedliche Ebenen voneinander abgetrennt sind und so geradezu ineinanderfließen. „Und bis auf ein paar Sanierungsmaßnahmen oder neue Arbeitsplätze ist wirklich noch alles im Originalzustand“, betont Huperz. „So etwas ist sehr selten und eigentlich ein echter Schatz.“

Solche Schätze sollten unbedingt bewahrt werden, findet die Studentin. Auch wenn die Bibliothek für die vielen Studierenden der Uni Köln längst zu klein geworden ist. Schließlich sei eine Bibliothek zwangsläufig ein immer weiterwachsendes Institut. „Die USB wurde damals für 15.000 Studierende gebaut und nicht für 50.000. Aber damit ist dieses Gebäude einfach ein Zeuge der Entwicklung des Bildungswesens,“ so Huperz.

Entstanden ist der Wettbewerbsbeitrag in einem Seminar von Prof. Dr.-Ing. Birgit Franz, HAWK-Professorin für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege. Neben der Würdigung der Bauästhetik habe sie an der Arbeit besonders beeindruckt, wie Huperz die gesellschaftliche Bedeutung des Bauwerks herausgearbeitet habe. „Patricia Huperz zeigt, warum additive Lösungen anstelle von Abriss gesetzt werden müssen, wenn, wie hier der Fall, sowohl die Regal- als auch Arbeitsplatzkapazitäten nicht länger ausreichen. Und dass es für unsere Bildungsgesellschaft wichtig ist, den Bildungsboom der Nachkriegsjahrzehnte in der zunächst noch jungen Demokratie zu bezeugen“, erläutert Franz. „Die Bauwerke des Architekten Rolf Gutbrod stehen für eine gebaute gesellschaftliche Haltung. Und auch wir heute brauchen Nachwuchs mit gesellschaftlichem Anspruch.“ Auch Kirsten Angermann von der Bauhaus-Universität Weimar, die die Laudatio auf Huperz Arbeit hielt, sprach von einem außergewöhnlich gelungenen Plädoyer und hob auch die fotografischen Leistungen der Studentin hervor.

Belohnt wurde Patricia Huperz dafür mit einem Preisgeld von 500 Euro. Ob sie sich auch nach ihrem Studium der Denkmalpflege widmen möchte, weiß sie noch nicht. Doch das Bauen im Bestand und der Erhalt von Gebäuden interessiere sie sehr. „Für mich ist es allein in Hinblick auf Nachhaltigkeit und unsere Zukunft sehr wichtig, dass wir alte Gebäude nicht einfach abreißen, ganz unabhängig vom Denkmalschutz.“