Pionierarbeit: Königliche Möbel von der Marienburg sollen Geheimnisse verraten

Erscheinungsdatum: 10.09.2024

Ein besonderes Möbel vom Schloss Marienburg aus dem 19. Jahrhundert stellt derzeit ein größeres Restaurierungsprojekt für die HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen dar: der (vermutliche) Hochzeitsschrank des letzten hannoverschen Königspaars. Zusammen mit anderen Möbeln aus dem Schloss steht er für längere Zeit in der Möbel-Restaurierungswerkstatt auf dem HAWK-Campus Weinberg in Hildesheim. Das Objekt wird über mehrere Semester hinweg von Studierenden untersucht und restauriert – die dabei auch kunsthistorische Pionierarbeit leisten. 

Vor kurzem konnte man kunsthistorisch bedeutende Möbel anlässlich der Werksausstellung und des Campusjubiläums ganz aus der Nähe betrachten: Während der Gebäudebegehungen, die auch in die Werkstätten der Möbelrestaurierung und -konservierung führten, erklärten Studierende ihre Arbeit und Methoden. Zwei besondere Objekte, der königliche Kabinettschrank von Georg V., dem letzten Regenten des Königreichs Hannover und ein Sekretär von der Marienburg, befanden sich unter den Werkstattexponaten.

 

Alles „Hochkaräter“ innerhalb der Möbelrestaurierung, sagt Dr. Ralf Buchholz: „Wir sind dabei, ein Konzept zu entwickeln und später Vorschläge zu machen“, erklärt er die generelle Arbeitsweise. Der HAWK-Werkstattleiter begutachtet gerade zusammen mit seinen Studierenden der Restaurierung und Konservierung das Schadensbild des Schranks. Das Vorgehen ist systematisch: „Die Studierenden machen Vorschläge. Das muss dann abgestimmt werden mit dem Leihgeber“, so Buchholz und bezieht sich auf die Hochschulkooperation unter Leitung von Prof. Dr. Julia Antonieta Schultz mit der Stiftung Schloss Marienburg und deren Kunsthistorikern: „Erst dann entscheiden wir, was gemacht werden muss.“ 

Neben dem Schrank sind Maßzeichnungen des Möbels an einer Pinnwand, gefertigt in AutoCAD, auf dem Arbeitstisch liegen aufgeschlagen Fachbücher mit Fotos und Zeichnungen historischer Möbel. Die Recherche benötige viel Zeit, weiß Anton Waldt, Student der Konservierung und Restaurierung im 4. Semester. Neben der technologischen Untersuchung der verschiedenen Materialien und Konstruktion sowie Materialanalysen wird später ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept erstellt. „Bis jetzt ist der Schrank noch nicht gut dokumentiert“, sagt Waldt. „Es gibt eine Quelle aus dem bekanntesten deutschen Möbelbuch, aber da steht auch bisher nicht so viel drin.“ Eine kleine Forschungsreise habe sie bereits zur Außenstelle des Niedersächsischen Landesarchivs nach Pattensen geführt. Denn je mehr die Studierenden über die Hintergründe des Herstellers und Herstellungstechniken herausfinden, desto besser können sie ihre Konservierungs- und Restaurierungskonzepte aufstellen – und einen Reinigungsplan.  

Der wird teilweise schon umgesetzt: Seine Kommilitonin Milena Deutsch hat sich derweil eine Schutzbrille aufgesetzt und saugt mit einem Werkstattreiniger einzelne Ornamente des Holzschranks sorgfältig ab. Es sei nicht nur ein optischer Pluspunkt, sagt sie, sondern es gehe auch um den mikrobiellen Befall der Holzoberfläche: „Der kann sich dort leider besser ansiedeln, wenn noch viel Schmutz drauf ist.“  

Deutsch präsentiert in ihrer Handfläche einen bronzefarbenen Metallmechanismus, der aus dem oberen Schrankteil irgendwann einmal ausgebaut wurde, in ihrer anderen Hand hält sie eine Glocke. Vermutlich wurde die Glocke durch den Mechanismus angeschlagen, wenn die Flügeltüren geöffnet wurden, sagt sie: „Vielleicht, damit es auffallen sollte, wenn sich Kinder etwas aus dem Schrank herausholen wollten“, vermutet sie. „Aber warum, wissen wir leider nicht. Der Schrank redet ja leider nicht mit uns.“

 

Einen weiteren Geheimmechanismus haben sie auch schnell entdeckt: Eine Schublade in der Mitte hat einen besonderen Mechanismus – über einen Knopf im Boden des Schranks lässt sie sich entriegeln und herausziehen. Bei der Betrachtung des Aufbaus und der äußeren Verzierung fallen die unteren Schubladen auf, die später noch ergänzt wurden sowie besondere Perlenstickereien – die den Schrank dadurch auch einzigartig machen. Auf zwei davon sieht man die gestickten Wappen von Georg V. und seiner Frau, Marie von Sachsen-Altenburg. „Deswegen besteht auch die Vermutung, dass es ein Geschenk zur Vermählung war. Das können wir bis jetzt aber noch nicht bestätigen“, sagt Milena Deutsch. Über mehrere Monate werden sie und ihre Kommiliton*innen sich damit noch beschäftigen: „Sehr viele Materialien und sehr viele Fragen. Immer wenn man versucht, eine zu klären, taucht die nächste auf.“

 


Ihr Kollege Julian Witthaut, ebenfalls Student im 4. Semester Konservierung und Restaurierung, beschäftigt sich in einer anderen Kleingruppe mit einem Sekretär von der Marienburg, der von einem sehr starken Grauschleier befallen ist. Hier liegt der Fokus zunächst auf den Messingeinlagen und Metallbeschlägen – außerdem eine ungewöhnliche weißliche Füllung, die wie eine Art Harz in die Oberflächen eingebracht wurde. Die Materialvielfalt sei deshalb sehr interessant, sagt Witthaut: „Die Kombination aus farbigen Massen und dem Palisanderholz wurde in dem Zeitraum in Deutschland von fünf Werkstätten hergestellt, von denen man bis dato weiß. Allerdings konnte dieses Objekt noch keiner dieser Werkstätten zugeschrieben werden“, beschreibt Witthaut seine historische Detektivarbeit mit dem Stück. Die Gravur des Hoftischlers Dirks aus Hannover hätten sie schon entdeckt, allerdings auch nur in dem Objekt. Und warum nur da, ist eine weitere der vielen Fragen, die sich ständig auftun.


Wie lange sich der Prozess in Arbeitsstunden bemessen daher hinzieht, sei eine eher nicht so wichtige Frage – erklärt Ralf Buchholz angesichts der praxisorientierten Arbeits- und Lehrmethode, die sich über rund drei Semester mit den Objekten hinziehe: „Es geht uns ja ums Prinzip. Die Studierenden sollen es richtig lernen, machen bestimmte Arbeitsprozesse dabei zum ersten Mal, also dauert es länger. Aber es sind viele tausend Stunden.“