Rund hundert Logopädinnen, Physio- und Ergotherapeutinnen haben sich jetzt mit Vertretern der Berufsverbände und Hochschulangehörigen an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, FH Hildesheim/Holzminden/Göttingen zum Multiprofessionellen Forum „@Hildesheim“ getroffen. Das Forum, das aus dem Bachelor-Studiengang Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie hervorgegangen ist, beschäftigte sich in diesem Jahr mit den Grundlagen Evidenzbasierter Praxis* therapeutischen Handelns und den Möglichkeiten der Entwicklung therapeutischer Leitlinien.
Was ist überhaupt evidenzbasierte Praxis, wie arbeitet man in der Praxis evidenzbasiert, was sind Leitlinien und wie wirken sie sich auf die Arbeit einer Ergotherapeutin, Logopädin oder Physiotherapeutin aus? Im Eingangsvortrag erläuterte eine Spezialistin der medizinischen Leitlinienentwicklung, Dr. Ina Kopp von der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) die Struktur von Leitlinien und die Vorteile und Nachteile, die daraus in der Praxis erwachsen. Dr. Erwin Scherfer, Physioakademie Wremen, erhielt viel Zustimmung zu seinem Plädoyer für die Umsetzung evidenzbasierten Wissens. „In der Welt der Physiotherapie herrscht Konsens, dass die Praxis dem Konzept der evidenzbasierten Praxis folgen muss“, schloss er seinen Vortrag. In der anschließenden Diskussion mit Vertretern der drei Berufsgruppen aus Hochschule und therapeutischen Institutionen wurde die Notwendigkeit, eigene therapeutische Leitlinien ergänzend zu den medizinischen zu erarbeiten, hervorgehoben. Es sei fünf vor zwölf, die Wirksamkeit der therapeutischen Praxis der drei Berufe durch Forschung zu belegen, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Auch an der Erstellung medizinischer Leitlinien seien die Gesundheitsberufe noch zu wenig beteiligt, bemerkte Ina Kopp.
Am Nachmittag konnten die Tagungsgäste in Workshops weiterdiskutieren. So wurde der Weg von der Leitlinie in die Praxis von der Physiotherapeutin Dorothe Wulf dargestellt, der klinische Linguist Holger Grötzbach referierte aktuelle Forschungsergebnisse zur Aphasietherapie, die nur eine hochfrequente Behandlung von mindestens 5 x wöchentlich als wirksam auswiesen. Die praktische Umsetzung dieser Ergebnisse in der Behandlung von Schlaganfallpatienten wurde lebhaft diskutiert. Der Ergotherapeut Sebastian Voigt-Rafloff erarbeitete mit seinen Workshopteilnehmern ein Thesenpapier zur Einführung und Umsetzung evidenz-basierter Praxis in den drei Disziplinen. Mara Wieck, Katrin Fischer und Martina Freundt - drei Absolventinnen des Studienganges Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie in Hildesheim - stellten ihre herausragenden Abschlussarbeiten zum Thema therapeutische Leitlinien vor. Unter dem Stichwort: Was müssen, was sollten was können die Gesundheitsberufe tun, zeigte die Organisatorin der Tagung, Prof. Dr. Ulla Beushausen, den Weg zu eigenen therapeutischen Leitlinien auf.
„Die große Aufgabe der Leitlinienentwicklung kann nur in einem Zusammenschluss der Hochschulen, der Berufsverbände und aller beteiligten Berufsgruppen erfolgen“ gab sie den Anwesenden mit auf den Weg. Sie regte die Gründung einer interdisziplinären wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Leitlinienentwicklung in der Ergotherapie, Logopädie/Sprachtherapie und Physiotherapie an. Dieses Gremium brauche neben Experten aus den drei Berufsgruppen auch das Know how anderer Berufsgruppen wie der Gesundheitswissenschaften und der Medizin. Im Frühjahr 2006 soll hierzu ein Treffen aller Interessierten stattfinden, um eine entsprechende Organisationsform zur Leitlinienentwicklung zu gründen. Das nächste Multiprofessionelle Forum @Hildesheim findet dann wieder im November 2006 zum Thema: Diagnostik in der Logopädie/Sprachtherapie statt.
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* Evidenzbasierte Praxis kann mit Beweisbasierte Praxis übersetzt werden. Ziel ist, jede Entscheidung über Diagnose oder Therapie auf der Basis des besten vorhandenen Forschungsstandes zu treffen. Dahinter steht die Forderung nach lebenslanger, selbständiger Fortbildung von Therapeuten in der Medizin und in den Gesundheitsberufen.