Übung mit dem Inklusionsbeirat der Stadt Hildesheim eröffnet neue Perspektiven
Marion Tiede, Mitglied des Inklusionsbeirats, schildert den Studierenden eindrücklich die Problematik von Bürgersteigen mit den für Regenwasser vordefinierten Schrägen und hohen Bordsteinen – denn da sei es schwierig, mit dem Rollstuhl vorwärtszukommen. In einem Raum des Rathauses hören ihr gebannt rund 20 Studierende der HAWK zu. Sie werden in einer späteren Praxiseinheit selbst erfahren, wie es ist, ohne fremde Hilfe mit einem Rollstuhl die Hildesheimer Innenstadt zu erkunden.
Organisiert hat diese Inklusionsübung der Behinderten- und Inklusionsbeirat der Stadt, um den Architekturstudierenden die Erlebnisse und Schwierigkeiten von Menschen mit Seh-, Hör- und Gehbehinderungen im öffentlichen Raum näherzubringen.
Dieser Workshop bereitet die Studierenden auf den Semesterentwurf unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Ines Lüder vor, bei dem sie eine fiktive Stadtquartiersplanung in Hildesheim zur Aufgabe haben und bei der sie die besonderen Bedürfnisse von Menschen im Rahmen der Barrierefreiheit im Blick haben sollen.
„Man braucht diese eigene körperliche Erfahrung, um zu verstehen und dann darauf mit dem eigenen Entwurf zu reagieren“, erklärt Ines Lüder.
Die Übung gebe den Studierenden nicht nur einen Einblick in den Alltag von Menschen mit Behinderungen, sondern sensibilisiert sie auch für die Bedarfe und Anforderungen, die bei der Planung städtischen Lebensraums notwendig sind.
Mohsen Arki, erster Vorsitzender des Inklusionsbeirats der Stadt Hildesheim, geht seiner Gruppe mit dem Langstock voran. Zuvor hat er den Studierenden über seinen Alltag berichtet, wo er auf Schwierigkeiten im öffentlichen Raum trifft – wie zum Beispiel kleine, mobile Verkehrsschilder am Wegrand. Oder auch über die Schwierigkeit, sich über Rettungswege in für ihn neuen Gebäuden zu informieren.
Eine andere Gruppe bewegt sich etwas flotter vorwärts, allerdings nicht ohne sich gut umzusehen und auf andere Verkehrsteilnehmer zu achten. Angeleitet werden sie durch Katharina Broermann von der Stabsstelle Integration und Migration der Stadt Hildesheim, die vorab einen guten Einblick in die Gebärdensprache vermittelte und auch sonst viel über die Barrieren von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen berichtete.
Nick Nebe, Masterstudent Architektur, schlüpft während der Übung in die Rolle eines Rollstuhlfahrers und erlebt, was es bedeutet, so die Stadt zu durchqueren. „Riesen-Respekt an alle Rollstuhlfahrer, die das tagtäglich machen müssen. Es ist im Straßenraum nicht hundertprozentig gewährleistet, dass man sich barrierefrei bewegen kann“, berichtet er beeindruckt.
Die Studierendengruppe hat sich innerhalb der drei Kleingruppen nach einer Weile durchgewechselt.
So sammeln alle nach und nach intensive Erfahrungen: per Rollstuhl oder blind mit einem Stock den Weg zu ertasten oder mit Ohrenschützern die Welt der Gehörlosen kennenzulernen.
Für die Master-Architekturstudentin Alina Friedrici fühlt sich diese neue Realität besonders intensiv an: „Man verliert dabei ein wenig die Orientierung“, stellt sie fest – andererseits merke sie, wie viel mehr sie über den Hörsinn wahrnehmen kann – und auch muss.