Aus Rot wird Schwarz - und dann? Pigmentveränderungen an Kunst- und Kulturgut
Relevant, aktuell und fachübergreifend
Das Thema der Pigmentveränderungen in Mal- und Fassungsschichten ist im restauratorischen Alltag sehr bedeutend, denn Pigmentveränderungen können die ursprüngliche Farbwirkung einer Malerei oder Fassung grundlegend verwandeln. So kann sich z. B. das Pigment Mennige in Bleioxid umwandeln, wodurch sich ehemals leuchtend rote Bereiche braun bis schwarz verfärben. Besitzer*innen und Fachleute aus der Kunstgeschichte sind alarmiert, denn die Farbveränderungen können in die künstlerische Aussage massiv eingreifen oder gar zu erheblichen Farbverlusten führen. Unerkannt können Pigmentveränderungen kunsthistorische Fehlurteile verursachen, die zu Geringschätzung oder gar zum Verlust der Objekte mangels angemessener Pflege führen könnten. Es geht bei dem Thema oft um folgenreiche Entscheidungen.
Hier zwei Beispiele für Pigmentveränderungen: Das leuchtende Blaupigment Smalte war im 16. und 17. Jahrhundert bei vielen berühmten Malern sehr beliebt, wie zum Beispiel bei Veronese, Tintoretto und Rubens. Heute sind auf deren großformatigen Gemälden anstelle strahlender Blaupartien teils nur noch Grautöne sichtbar. In der Wandmalerei findet man heute häufig Verbräunungen und Verschwärzungen, verursacht vor allem durch chemische Umwandlungen von Bleiweiß oder roten Bleioxiden wie Mennige. Es entstanden dunkle, zumeist sehr unregelmäßige Flecken, die die Wahrnehmbarkeit der Formen und Farben erheblich erschweren. Wie gehen Restaurator*innen heute mit der Problematik um? Die oftmals von ihnen erwartete Rückumwandlung ist nur in sehr seltenen Fällen möglich und ethisch fragwürdig.
Im Fokus des neuen Bandes stehen die materialwissenschaftliche Analytik und der aktuelle restauratorische Umgang mit den Veränderungen. Vor allem geht es um chemisch ausgelöste Pigmentumwandlungen in Verbindung mit externen Faktoren, wie z. B. Umwelteinflüssen, und ihre Effekte auf Kunst- und Kulturgut, unter Berücksichtigung der Auswirkungen verschiedener Restaurierungsmaterialien, Überzüge und Bindemittel.
Zu den Beiträgen
Neu an dem Buch ist vor allem sein Ansatz, die Problematik fachübergreifend zu diskutieren, denn Pigmentveränderungen sind für fast alle Bereiche der Restaurierung von größter Bedeutung, d.h. für Malerei und polychrome Farbfassungen, von den Architekturoberflächen über Tafelmalerei, Malerei auf textilem Träger und gefassten Holzobjekten bis zur Buchmalerei und Graphik. Das Thema betrifft damit auch fast alle Fachbereiche der Restaurierung, die an der HAWK in Hildesheim unterrichtet werden und zu denen hier geforscht wird.
Als Einführung sind zwei Beiträge vorgeschaltet, die anhand von Fallbeispielen auf restaurierungsethische Fragen aufmerksam machen: Ab wann wird eine Pigmentveränderung als ästhetische Beeinträchtigung eines Kunstwerks oder Kulturdenkmals gewertet? Unter welchen Voraussetzungen sind Rückumwandlungen farblich veränderter Pigmente – sofern sie technisch überhaupt machbar sind – aus ethischer und kulturhistorischer Sicht vertretbar? Wie sehr gehören Alterungsprozesse und die damit einhergehenden Veränderungen auch zur Rezeptionsgeschichte einer Malerei? Wie lässt sich die Akzeptanz dieser Veränderungen bei Eigentümer*innen und einem breiteren Publikum verbessern?
Die anschließenden Beiträge sind in drei Bereiche unterteilt:
- Architekturoberflächen und Kircheninventar, d.h. Themen aus dem Bereich der Bau- und Kunstdenkmalpflege, mit den klimatischen und durch die Nutzung gegebenen Bedingungen und den Anforderungen an das Aussehen der Raumausstattung;
- Kunstwerke und Kulturzeugnisse im musealen Bereich, also Gemälde und Objekte mit polychromer Fassung, bei denen Pigmentveränderungen vorliegen, die ursprüngliche künstlerische Aussagen verändern und somit zu Problemen bei der Präsentation und Vermittlung führen können;
- Druckgraphik im Bereich von Archiven und Bibliotheken, d.h. bei üblicherweise sehr guten klimatischen Umfeldbedingungen und zumeist relativ geringer Nutzung, verbunden mit der hier allgemein verbreiteten Akzeptanz von farblichen Veränderungen.
In vier Beiträgen analysieren Natur- und Materialwissenschaftler*innen in Kooperation mit Restaurator*innen, um welches Pigment es sich handelt und was genau Grund und Auslöser für die Pigmentveränderung war. Dazu ermitteln sie die maßgeblichen physikalischen, chemischen und mineralogischen Abläufe unter Berücksichtigung der historischen Maltechnik, der Nutzungs- und Restaurierungsgeschichte und aller objektspezifischen Gegebenheiten.
Hornemann Institut
Das Schlusskapitel widmet sich den Aufgaben des Hornemann Instituts und führt seine Projekte, Projektpartner und Sponsoren in den vergangenen 25 Jahren auf.
„Mein Dank gilt allen beteiligten Autor*innen sowie dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, ohne deren Förderung die Tagung und der Druck dieses schönen Buches nicht möglich gewesen wäre. Besonders möchte ich mich bei meiner Mitstreiterin Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub bedanken, der wir u.a. die Anregung für das Thema verdanken. Dieses interdisziplinäre Thema war in idealer Weise für das Jubiläum des Hornemann Instituts geeignet, da das Institut von Anfang an die interdisziplinäre Erforschung und Bewahrung von Kunst- und Kulturgut durch Restaurierungswissenschaft, Kunstgeschichte sowie Ingenieurs- und Naturwissenschaften unterstützte. Die verschiedenen Fachrichtungen der Restaurierung, die im vorliegenden Band repräsentiert sind, entsprechen dem großen Themenspektrum unserer weltweit genutzten Online-Kurse und unseres E-Publishings. Möge das Buch viele Menschen für Pigmentveränderungen sensibilisieren, weit über die Restaurierungswissenschaften hinaus“, so die Herausgeberin, Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Instituts.
Der vollständige Literaturtitel
Aus Rot wird Schwarz – und dann? Pigmentveränderungen an Kunst- und Kulturgut,
Tagungsband der interdisziplinären Tagung des Hornemann Instituts der HAWK in Hildesheim anlässlich seines 25jährigen Jubiläums in Kooperation mit der AG Konservierung/Restaurierung von ICOMOS und dem Verband der Restauratoren, 9. November 2023, hg. von Angela Weyer und Ursula Schädler-Saub, Berlin 2024
(= Schriften des Hornemann Instituts 24)
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