Erscheinungsdatum: 15.05.2006

Interkulturelles Theaterprojekt der HAWK zu internationalem Festival im Juli nach Marokko eingeladen

Tücher in leuchtenden Farben sind die einzigen Requisiten. In den Händen der jungen marokkanischen Schauspieler erzählen sie die Geschichte einer traditionellen Hochzeit. Sie erzählen von gehorsamen Frauen, beherrschenden Männern und temperamentvollen Festen. Die Szene ist beklemmend intensiv und lässt auf einen Schlag die Facetten einer fremden Kultur aufscheinen. Ein orientalischer Atemhauch liegt noch in der Luft, als die deutschen Schauspieler in Blümchenkleid und Blaumann das Feld besetzten – Kontrastprogramm.

Auf dem glänzenden Parkett des Theaterraumes der HAWK wird in diesen Tagen für einen ganz besonderen Auftritt im Juli geprobt. Das Theaterlabor Hildesheim von Prof. Dr. Birgit Klosterkötter-Prisor ist zum Internationalen Theaterfestival in Casablanca eingeladen. Klosterkötter-Prisor, Theaterpädagogin an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, inszeniert für das Festival mit zwölf ihrer Studierenden und zwölf Gästen von der Universität Hassan II-Ain Chock im marokkanischen Casablanca ein interkulturelles Stück, das von Leo Lionnis Kinderbuch „Das kleine Blau und das kleine Gelb“ inspiriert ist. Auf marokkanischer Seite begleiten sie Ibnoussina Abdelhakim, der Präsident der Federation Nationale du Theatre Amateur des Maroc et du Maghreb und Fenniche Abdelmajid, Theaterdozent, Regisseur und Professor des Journalistischen Instituts in Casablanca.

Wider den Terror
In diesem interkulturellen Multimediaprojekt geht es um eine wechselseitige Annäherung und einen Austausch über die deutsche und marokkanische Kultur. „Verbunden damit ist das Ziel eines besseren Verständnisses füreinander in Bezug auf die jeweiligen politischen Realitäten, die Wertvorstellungen, den Glauben, das Selbstverständnis als Männer und Frauen, die Situation der Jugendliche in ihren Ländern, den Abbau von Vorurteilen durch die intensive Begegnung miteinander im Theaterprojekt“, beschreibt Birgit Klosterkötter-Prisor. Das Projekt verstehe sich als Beitrag zu dem Ideal eines friedlicheren Zusammenlebens beider Kulturen zwischen Okzident und Orient vor dem Hintergrund von Gewalt und Terror.

Die Inszenierung
Das Stück „Les Bleues et Les Jaunes“ – „Die Blauen und die Gelben“ will Lebenswelten annähern: Die Blauen und die Gelben leben zunächst jeweils in ihrer eigenen Welt, ihrem Land nebeneinander her ihr eigenes Leben. Auf deutscher Seite werden verschiedene Szenen der deutschen Gesellschaft gezeigt:
Das hektische Leben in einer Bahnhofshalle, das Großstadtleben in der deutschen City, Einzelschicksale deutscher Jugendlicher, ihre Sexualität, ihre Geselligkeit beim Feiern, ihre Musik, ihre Lieder und Songs, ihr Alltag, ihr Umgang mit Fremden, ihre Beziehung zum Geld und zu ihrem nationalen, politischen Selbstbewusstsein.

Auf der anderen Seite zeigen die marokkanischen Jugendlichen ihre Welt auf ihre Weise. Zum Beispiel die marokkanische Hochszeit oder eine belebte Straße in Casablanca. Den jungen Akteuren gelingt es, das Leben mit wenigen schlichten Hilfsmitteln darzustellen. Arme, Reiche, Frauen und Männer in ihren Rollen und sogar Gewalt. Die marokkanischen wie die deutschen Studierenden spielen wie im Rausch, denn es ist nicht nur Theater, das sie zeigen. Es ist ihr Leben mit allen Eigenheiten.
Zehn Tage lang werden verschiedene Szenen geprobt. Manchmal bis tief in die Nacht. Im Stück wie im Leben in Hildesheim kommt es zu ganz neuen Erkenntnissen, Entwicklungen und Begegnungen.

Zurück bei Ihresgleichen sehen sie die Vorurteile und Vorwürfe gegenüber den Fremden mit ganz anderen Augen. Als die Blauen und die Gelben erneut zusammenkommen, machen sie die Vorurteile und Ängste ihrer jeweiligen Gruppe zum Thema und lernen sich so im Dialog, in Auseinandersetzung mit ihrem Anderssein intensiver kennen. Dies vollzieht sich in inhaltlicher Arbeit im szenischen Spiel, im Musizieren, Tanzen und Singen.

Am Ende werden durch diesen Austausch aus den Blauen und den Gelben die Grünen. Allerdings werden sie nur in ihrer Mitte, ihrem Herzen „grün“. Außen behalten sie ihre eigene Farbe.
Dies soll zum Beispiel durch die Verschmelzung westlicher und orientalischer Musik in der Weltmusik, dem Jazz, musikalisch dargestellt werden.

Die Szenen des Stückes spielen auf der Bühne mit SchauspielerInnen, TänzerInnen, MusikerInnen während im Hintergrund auf der Leinwand Gewaltszenen laufen, die das unversöhnliche Gegeneinander in unserer Welt zeigen: den Kampf der Rassen, der Religionen, der Geschlechter, der Generationen.

Das Projekt
Die Hildesheimer und die marokkanische Theatergruppe haben zunächst getrennt voneinander - aber im Kontakt über das Internet - ihre Szenen erarbeitet. Jetzt sind die marokkanischen Studierenden für zehn Tage nach Deutschland an die HAWK in Hildesheim gekommen, um die Szenen beider Seiten zu einer Inszenierung zusammen zu fügen.

Danach arbeiten beide Gruppen in ihren Ländern getrennt weiter, bevor sie dem Stück Mitte Juli an der Universität in Casablanca gemeinsam den letzten Schliff geben. Vom 21. bis zum 29. Juli 2006 nimmt die gesamte Theatergruppe dann an dem Internationalen Theaterfestival der Universität von Casablanca, dem „Festival International De Theatre Universitaire de Casablanca du 21 au 29 Juillet 2006“ teil.

Förderung
Finanziell gefördert wird das ehrgeizige interkulturelle Projekt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel & Theater, dem Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der HAWK und der Uni Hildesheim, vom Goethe-Institut und der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der Anfang
Prof. Dr. Birgit Klosterkötter-Prisor hat sich in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Spiel & Theater schon seit zwei Jahren für den deutsch-marokkanischen Dialog engagiert. Im April 2004 hat sie an einer Fachtheater-Reise nach Marokko teilgenommen. Im November 2005 besuchte eine Delegation von marokkanischen TheaterstudentInnen aus Casablanca das von ihr geleitete Theaterseminar „Kultur und Identität“. Im Dezember 2005 schließlich war Klosterkötter-Prisor Delegationsmitglied eines Austausches deutscher und marokkanischer Theaterfachkräfte aus Casablanca und Rabbat in Marokko. Aus diesen Kontakten ist das Theaterprojekt für Casablanca entstanden.

Interkulturelles Theaterprojekt der HAWK zu internationalem Festival im Juli nach Marokko eingeladen Eine Straßenszene wird geprobt. Eine Straßenszene wird geprobt.