Keine Frage: Plus- und Niedrig-Energie-Häuser bestimmen den Trend im Bauen. Immerhin schreibt die EU-Gebäuderichtlinie die Umsetzung der Niedrigstenergiebauweise bis 2020 vor, also Gebäude, die sich energetisch nahezu ausschließlich durch regenerative Energien versorgen. Dennoch habe der Begriff „nachhaltiges Bauen“ eine inflationäre Bedeutung bekommen, meint HAWK-Prof. Dr. Alfred Breukelman. Deswegen haben in dem von der EVI Energieversorgung geförderten Projekt „Zero_E_City Hildesheim“ insgesamt 15 Master-Studierende der Architektur Konzepte entwickelt, die dem Begriff Nachhaltigkeit in seiner umfassenden Bedeutung gerecht werden und Visionen für das Bauen der Zukunft im Zeitalter der Energiewende aufzeigen. Das Beste daran ist, dass sie alle für ein real existierendes Grundstück entworfen sind: das Gebiet zwischen der Paschenhalle und der Sparkassen-Arena.
HAWK Radio über „Zero_E_City Hildesheim“
Das Ergebnis des einsemestrigen Entwurfsseminars unter der Leitung von Prof. Dr. Breukelman sind Musterbeispiele für eine nachhaltige und energieeffiziente Stadterneuerung, welche dem Wohnen und Arbeiten in der Stadt die notwendige Bedeutung zukommen lassen und in vielerlei Hinsicht ungewohnte Wege beschreiten. Von der solaren Ausrichtung und Kompaktheit der in Passivhausbauweise geplanten Gebäude zu flexiblen, anpassungsfähigen Wohn- und Arbeitsformen wie dem „Coworking“, von der regenerativen Nahwärmeversorgung bis zur Elektromobilität: Die acht vorgestellten Konzepte zeigen die ganze Vielfalt der planerischen Möglichkeiten auf und beweisen, dass die „zero energy city“ - eine Stadt mit ausgeglichenem Energiehaushalt - möglich ist.
„Wir stellen uns eine Wohnanlage vor mit natürlicher Belichtung, einer selbst tragenden Fassade aus nachwachsenden Rohstoffen, einer Stahlbeton-Skelettbauweise, die den Materialbedarf gering hält, darauf begrünten Dächern mit Solarkraftwerk“, erklären die beiden Architektur-Studenten Bastian Spötter und Davut Kulaksiz. Dann zeigen sie, wie das konkret aussehen soll. In ihrem futuristisch geschwungenen Entwurf sind Wohnmodule zu sehen, die je nach Bedarf vergrößert, aber auch verkleinert werden können.
Photovoltaik-Anlagen sollen direkt an die Parkmöglichkeiten angeschlossen sein und zwar im Entwurf der beiden Architektur-Studentinnen Janine Hanke und Julia Diehl. Damit sind der Elektromobilität keine Grenzen gesetzt . Bei ihnen sorgen Hybrid-Kollektoren für Warmwasser. Die Grünflächen sind großzügig bemessen, die Fuß- und Radwege bestens ausgebaut, die Paschenhalle soll öffentlich zugänglich sein und ein Teil beispielsweise als offene Kochschule betrieben werden.
Corinna Wilmes und Daniela Heine setzen unter anderem auf „urban farming“, gemeinschaftliche Nutzgärten, deren Erträge direkt den Bewohnern zugute kommen. Ihr Entwurf zeigt unterschiedliche Typen des verdichteten Wohnungsbaus mit markanten, konsequent nach den Kriterien der passiven Solarenergienutzung geplanten Gebäuden, Wintergärten als Pufferzonen und begrünten Wänden. Auf diese Weise versprechen sie sich nicht nur eine soziale Durchmischung, sondern auch eine unverwechselbare Identität für den „grünen Stadtteil“. Ein abgestuftes Energiekonzept nutzt die vorhandenen Ressourcen - Sonne, Wasser, Wind - in unterschiedlichster Weise.
Eine „Energie- und Gebäudeklammer“ ist das bestimmende Merkmal des Entwurfs von Lena Günther und Inga Höfers. Ein klammerartiges Gebäude umschließt das Planungsgebiet und grenzt es u.a. zur lärmintensiven Bundesstraße 1 ab. Im Inneren befinden sich kompakte Gebäuderiegel, Stadt- und Punkthäuser, welche sich fächerartig zum vorhandenen Stadtteil Moritzberg orientieren. Geschickt nutzen die Studentinnen diese Aufweitungen für Gemeinschafts- und Kommunikationszonen. Während die notwendige Wärme für die Randbebauung der Klammer durch das nahegelegene Holzhackschnitzel-Heizkraftwerk gespeist wird, ist für die innere Bebauung ein „Nurstromhaus“ mit oberflächennaher Geothermie über Wärmepumpen und gebäudeintegrierter Photovoltaik vorgesehen. Regionale, umweltfreundliche Baustoffe wie Schafwolle und Holzfaserdämmplatten begrenzen den notwendigen Bedarf an „grauer Energie“.
Im Entwurf der beiden Architektur-Studenten Niklas Stypa und Dariusz Czapiewski wird aus Erde ein Lärmschutzwall errichtet, der als grüne Achse parallel zur B1 verläuft. Alle Gebäude haben eine Gemeinsamkeit: Auch sie sind an das EVI-Holzhackschnitzel-Heizkraftwerk angeschlossen. Mit einer Regenwasser-Nutzungsanlage werden Toiletten und Gartenbewässerung gesichert. Eine Smart-House-Steuerung sagt den Gebäuden, die Heizung zu drosseln, wenn ein Fenster geöffnet ist.
Das sind nur einige wenige Auszüge aus den vielen Ideen, die es wert wären, umgesetzt zu werden.Weil auch die Stadt Hildesheim dieses Gebiet längst im Visier hat, freut sich Thorsten Warnecke, Fachbereichsleiter Stadtplanung und Stadtentwicklung, umso mehr über die Zusammenarbeit zwischen der HAWK und der Stadt: „Solche Projekte sind für mich enorm wichtig. Man muss schließlich von der Planung in die Umsetzung kommen – da sind wir dran, aber fest entschieden ist noch nichts. Darum sind wir sehr dankbar für neue, frische Ideen, die wir sicherlich bei der Bebauung einbeziehen werden.“
„Wir wollen energiearme Gebäude, die sich an die Lebensplanung ihrer Bewohner anpassen können, die aus umweltverträglichen Materialien gebaut sind und in ihrer Nutzung durchmischt sind. Dafür gilt es auch zu beachten, wie sich die Lebens- und Wohngewohnheiten der Menschen ändern“, fordert Breukelman.
„All diese Ansprüche zu erfüllen, ist natürlich eine große Herausforderung für unsere Studierenden. Aber schließlich geht es hier darum, die theoretischen Kenntnisse aus dem Studium schon während des Studiums praktisch auszuprobieren. Das ist hervorragend“, freut sich Prof. Dr. Wolfgang Viöl, HAWK-Vizepräsident für Forschung und Transfer, und dankt für die Zusage der EVI, die Kooperation fortzusetzen. Dazu EVI-Pressesprecherin Katrin Groß: „Unsere Partnerschaft mit der HAWK befindet sich im zweiten Jahr. Wir werden Studienprojekte an der HAWK auch 2013 mit einem festen Betrag unterstützen.“