HAWK-Tagung zum Fragment im digitalen Zeitalter im Mai
Schon jetzt werden digitale Techniken in der Konservierung und Restaurierung von Kulturgut vielfältig eingesetzt, vor allem zur Untersuchung des Bestandes und von Schadensprozessen, zur Dokumentation, zum Monitoring, zur Erforschung von Herstellungstechniken, zur Vermittlung und Präsentation, zur Rekonstruktion unterschiedlicher Zustände des Objekts und seiner Fassungen oder auch zur Darstellung verschiedener Forschungshypothesen. Das Thema wird auf dem Umschlag des Tagungsbandes gut veranschaulicht: Das Stuckfragment eines Engels von der Arkatur der Chorschranke von St. Michael in Hildesheim, um 1190/1200, wurde zur digitalen Teil-Rekonstruktion von der akademischen Restauratorin Christine Fiedler im Hornemann Institut mittels Fotogrammmetrie digitalisiert, daraus dann ein 3D-Modell berechnet und anschließend nachmodelliert.
Das Interesse an der Tagung ist sehr groß: Nach nur wenigen Wochen sind schon über 350 Anmeldungen aus 20 Ländern eingegangen, darunter Indien, USA und Honkong. Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Eine Simultanübersetzung ist nicht möglich.
Tagungsthema
Der Umgang mit fragmentarischem Kulturgut im digitalen Zeitalter ist ein sehr praxisorientiertes Thema, denn nahezu alle historischen Kunstwerke sind als Fragmente überliefert: Oft sind es nur kleine, aber wichtige Teile, die dem Wandel der Nutzung oder des Zeitgeschmacks zum Opfer fielen, zum Beispiel durch die Abnahme der originalen Farbfassung einer Schnitzfigur. Gravierender sind Beschädigungen, die durch Zensur oder Vandalismus entstanden. Deshalb gehört der Umgang mit dem Fragment zu den zentralen Aufgaben von Restaurator*innen und anderen Fachleuten aus Denkmalpflege, Museen und Bibliotheken. Unterschiedliche theoretische Grundsätze und der Einfluss des Zeitgeschmacks führen zu divergierenden Ergebnissen: Zwischen den beiden Polen der vollständigen Wiederherstellung und der Beibehaltung des fragmentarischen Zustandes reihen sich sehr verschiedene Möglichkeiten realer oder virtueller Ergänzung. Es ist jetzt Zeit, die faszinierenden Möglichkeiten virtueller Rekonstruktionen aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht zu prüfen. Denn es gibt „eine Lücke zwischen der zunehmenden Bedeutung und der Professionalisierung der visuellen Rekonstruktion des Historischen einerseits und der theoretischen Fundierung solcher Tätigkeiten andererseits“. (Blokker 2017)
Die Vortragenden
Antworten geben dazu Fachleute aus acht Ländern. Die insgesamt 25 Beiträge bieten einen breiten Überblick, von der Behandlung fragmentarisch überlieferter Werke im Laufe der Geschichte über die Wahrnehmung des Fragments aus psychologischer Sicht bis hin zu den Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf dessen Akzeptanz. Mit einem breiten Spektrum von interdisziplinären Projekten aus Archäologie, Denkmalpflege und Sammlungen erläutern sie den Einsatz unterschiedlicher Methoden und Techniken der Digitalisierung und ihre verschiedenen Zielsetzungen. Ein besonderer Fokus der Diskussion wird auf den theoretischen Prinzipien des Umgangs mit Fragmenten und ihrer Bedeutung für unser heutiges Handeln liegen.
Tagungsziel
Anknüpfend an eine Reihe von Dokumenten und Chartas, die sich in den letzten 15 Jahren aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Kulturerbe befasst haben, und unter Bezug auf die Tagungsbeiträge und ihre kritischen Auseinandersetzungen mit dem Thema, möchten die Veranstalterinnen zusammen mit dem Auditorium ein prägnantes, praxistaugliches Grundsatzpapier zum Umgang mit dem Fragment formulieren: Die etablierten ethischen und theoretischen Prinzipien der Restaurierung sollen unter Berücksichtigung der neuen digitalen Möglichkeiten ergänzt werden. Denn wissenschaftliche Standards müssen auch für die digitale Welt gelten, z.B. muss der spekulative Anteil von virtuellen Rekonstruktionen für Betrachtende klar identifizierbar sein, ebenso müssen die wahrnehmungspsychologischen Auswirkungen berücksichtigt werden.
Tagungsband im Druck
Der mit nahezu 300 farbigen Abbildungen reich illustrierte Tagungsband umfasst auf 320 Seiten alle Vorträge der Tagung, bis auf den von Nihan Kocaman Pavlovic. Zusätzlich zu den Vorträgen sind sechs Poster der Postersektion abgedruckt, einige in einer erweiterten Fassung. Als Reminiszenz des vor Ausbruch der Corona-Pandemie umfassend geplanten Begleitprogramms sind zusätzlich am Schluss dieses Bandes zwei Aufsätze zum analogen Umgang mit Fragmenten in Hildesheim beigefügt, Beiträge, die ursprünglich als Führungen vorgesehen waren. Der Tagungsband kann bereits jetzt über die Website des Hornemann Instituts bestellt werden.
Kooperationspartner der Tagung sind die ICOMOS AG Konservierung-Restaurierung sowie der Verband der Restauratoren e. V. (VDR).
Kontakt
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