Ein Film, ein Buch und ein Begleitheft sollen helfen, Klischees zu entlarven

Erscheinungsdatum: 27.11.2017

Denkt ein Mensch aus Deutschland an Afghanistan, hat er schnell ganz bestimmte Bilder im Kopf. Schneebedeckte Berggipfel gehören nicht unbedingt dazu. Das hat auch Projektleiter Björn Sedlak erfahren, als er Studierenden entsprechende Bilder aus dem Land zeigte. „Sie kamen nicht auf die Idee, dass diese Bilder zu Afghanistan gehören könnten“, erinnert sich der Wissenschaftliche Mitarbeiter der HAWK- Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit. Dass es in Afghanistan nicht schneit, ist nur eine von vielen Vorstellungen, die wir uns von fremden Ländern, Kulturen und Menschen machen.

In Gesprächen zusammen mit Prof. Dr. Lutz Finkeldey entstand die Idee eines Projektes, das zeigen sollte, wie Kultur arbeitet. Sedlak entwickelte ein Gesamtprojekt, mit dem solche Bilder sichtbar gemacht und aufgebrochen werden können. Das Fremde soll nicht mit eigenen Bildern verglichen, sondern mit einem neuen Blick wahrgenommen werden.

 

Die Angst vor dem Fremden sei etwas ganz Natürliches, erklärt Finkeldey „ Ein Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben einen schwarzen Menschen sieht, empfindet vielleicht Angst. Wenn sich diese Angst aber verfestigt, entsteht Rassismus.“ Darum müsse man sich die eigenen Bilder über das „Fremde“ bewusst machen. „Besonders Menschen in der Sozialen Arbeit sollten diese Zusammenhänge verstehen“, betont er.

Vier Medienprodukte entstanden aus dem Projekt: ein Interviewfilm mit Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, eine Webseite, ein didaktisches Begleitheft und ein Buch, das in Kooperation mit Prof. Dominika Hasse und Studierenden der Fakultät Gestaltung entwickelt wurde. Bei einer Präsentation in der alten Bibliothek an der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit stellten die Projektbeteiligten Buch, Film und Begleitheft vor.

Der Film mit dem Titel „… und schon bist Du fremd“ entstand in Kooperation mit der Medienwerkstatt Linden. Abdelbagi Ali Babiker, genannt Buga, ist einer der Interviewten. Er kommt aus dem Sudan und hat sich von einer befreundeten HAWK-Studentin für das Projekt begeistern lassen. In den Interviews erzählt er aus seiner Kindheit und seinem Alltagsleben: Dass er als Kind Angst vor der Dunkelheit hatte, wie er sich mit Freunden Spielzeugautos aus alten Dosen gebaut hat und dass er als Jugendlicher nach der Schule seinem Vater auf dem Markt half. Er spricht beispielsweise auch davon, was für ihn Freundschaft und Familie bedeutet und wann er das letzte Mal geweint hat. Die gleichen Fragen beantworten auch die anderen Protagonisten: Najeb Naseir aus Afghanistan, Abed Zaitun aus Syrien und Raschid Büscher aus Cloppenburg in Niedersachsen.

Die Zuschauer/innen erleben so einen Perspektivwechsel und bekommen kurze Eindrücke aus anderen Lebenswelten. Ergänzt werden diese multimodalen Anregungen durch ein Begleitheft, das Finkeldey und Sedlak zusammen mit der Beratungsagentur VIERfältig erarbeiteten. Darin finden sich etwa Gruppenübungen und Vorschläge für Befragungen und Gedankenexperimente. Teilnehmer/innen werden angeregt, über die eigene Identität und kulturelle Normen nachzudenken. In einer Übung geht es beispielsweise darum, eine typische Kindheit in den Ländern der Personen im Film in einem Bild festzuhalten und zu vergleichen. Durch die Visualisierung innerer Bilder werden diese gewissermaßen „entlarvt“ und können kritisch hinterfragt werden.

Dass der Film auch durch ein Buch ergänzt wird, ist nicht zuletzt dem Engagement von Dominika Hasse, Professorin für Corporate & Editorial Design geschuldet. Gemeinsam mit Sedlak entwickelte sie die Idee zu einem Buch über die Protagonisten des Films, ihre Herkunftsländer und den Umgang mit dem „Fremden“.

Im Semesterprojekt Editorial Design wurde ein außergewöhnliches Buch geschaffen, das den Leser ganz bewusst auch ein „Fremdsein“ spüren lässt. Es gibt kein Inhaltsverzeichnis, das Orientierung bietet. Stattdessen findet man überall Anknüpfungspunkte, die einen Einstieg in das Buch ermöglichen. Grafiken, die Fakten aus den verschiedenen Ländern veranschaulichen, eröffnen den Leser/-innen einen visuellen Zugang zu Vergleich und Reflexion. „Die Texte in dem Buch sind nicht leicht konsumierbar“, erklärt Dominika Hasse. Darum sollte auch die Gestaltung herausfordern. „Hier entsteht echte Forschung am Objekt Buch. Wir wissen noch nicht, wie es bei Leserinnen und Lesern ankommen wird.“


Bei diesem aufwendigen und innovativen Designprozess wurde die Intention des Gesamtprojektes stets mitgedacht, betont Sedlak. „Das sozialwissenschaftliche Verstehen bildet die Basis sämtlicher Produkte.“
Beim Bundestreffen der internationalen Jugendgemeinschaftsdienste  konnte Sedlak das Projekt bereits vorstellen und in einem Workshop erproben. Die Rückmeldungen der Teilnehmer/innen seien durchweg positiv gewesen, berichtet er: „Der Ansatz des Projektes wurde als völlig neuartig wahrgenommen.“

Der Film und das Begleitheft werden voraussichtlich am 30. November 2017 auf der Projektwebseite veröffentlicht und können dann kostenlos heruntergeladen werden. Das Buch „... und schon bist Du fremd. Junge Menschen mit und ohne Fluchterfahrung in transdifferenter Aufnahme“ ist im Fruehwerk-Verlag erschienen und kann zum Preis von 22 Euro über den Buchhandel erworben werden.
Die Materialien eignen sich beispielsweise für die Arbeit mit Studierenden, Schüler/innen und mit Fachkräften in der Sozialen Arbeit.