Autorin Patricia Cammarata bei HAWK-Frauenvollversammlung
Im Gegensatz zum Gender Pay Gap, bei dem es um Ungleichbehandlung bei bezahlter Arbeit geht, und den es an der HAWK nachgeprüft nicht gibt, bezeichnet der Gender Care Gap einen Unterschied, der nicht nur eine ungleiche Arbeitsverteilung in Partnerschaften, sondern auch ein Ungleichgewicht im Mental Load, also in der geistigen und emotionalen Last, und in der finanziellen Absicherung bedeutet. Wie man diesem entgegenwirken kann, erklärte Autorin und Diplompsychologin Patricia Cammarata bei ihrem Vortrag im Rahmen der Frauenvollversammlung der HAWK, bei dem sie auch aus ihrem neuen Buch „Musterbruch“ las.
Anlässlich des Internationalen Frauentags hatte das Gleichstellungsbüro der HAWK alle Studentinnen, Professorinnen und Mitarbeiterinnen der Hochschule zu einer Online-Vollversammlung eingeladen. Neben dem Bericht zu den Aktivitäten des Gleichstellungsbüros bot die Veranstaltung den rund 90 Teilnehmerinnen wie jedes Jahr einen Vortrag zu einem aktuell relevanten Thema.
Dass auch moderne Paare es nicht schaffen, Sorge- und Hausarbeit gerecht aufzuteilen, führt Cammarata unter anderem auf das Phänomen der Affordanz zurück. Affordanz beschreibt den Angebots- oder Aufforderungscharakter eines Gegenstandes. „Ein Lichtschalter sagt zum Beispiel ‚Mache mich an und aus‘“, erklärt die Psychologin. Dieses Prinzip, das sich auf Gebrauchseigenschaften von Gegenständen beziehe, ließe sich auch auf Dinge im Haushalt anwenden, die eine andere Art von Handlungsaufforderung aussenden. Das benutzte Geschirr in der Küche ruft „Wasch mich ab!“, die Kinderkleidung auf dem Boden „Räum mich auf!“ Welche Dinge eine solche Botschaft aussenden, sei höchst individuell und von anerzogenen Zuständigkeiten beeinflusst, die oft eine geschlechtsspezifische Ausrichtung hätten. „Natürlich sieht der Partner diesen Wäscheberg auch, nur der spricht eben nicht zu ihm.“
Durch diese sichtbare To-Do-Liste im eigenen Zuhause ließe sich zum Teil auch der Unterschied im sogenannten Mental Load zwischen Männern und Frauen erklären. „Mental Load bezeichnet die geistige und emotionale Last, die in der Regel von Frauen getragen wird, damit der Alltag für alle Familienmitglieder funktioniert“, erklärt Cammarata. Ein Ansatz, um diesen Effekt zu verringern, sei zum Beispiel, dass Eltern jeweils einen Teil der Elternzeit alleine übernehmen. Und gerade, weil das eigene zu Hause besonders für Frauen oft zum Arbeitsort werde, sei es wichtig, bewusst Freizeit einzuplanen – am besten außerhalb der eigenen Wohnung oder in einem eigenen Raum, der nicht an die To-Do-Liste erinnert.
Neben diesen kleinen Maßnahmen im Privaten müsse die unbezahlte Care-Arbeit in der Gesellschaft aber auch eine andere Stellung bekommen. „Viele begreifen Gleichberechtigung im engeren
Sinne nicht als Wahlfreiheit, sondern als Weg, dass Frauen so leben können wie Männer, nämlich erwerbsarbeitszentriert.“ Arbeit rund um Haushalt, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen gelte dagegen als unproduktiv und werde weniger wertgeschätzt. Dabei würden genau diese unbezahlten Tätigkeiten erst die Erwerbstätigkeit anderer ermöglichen.
Dr. Anne Faber, Hauptberufliche Vizepräsidentin der HAWK, hob in ihrem Grußwort die Relevanz der Frauen an der Hochschule hervor. „An der HAWK arbeiten, wenn man den Stichtag in November
2024 anschaut, 442 Frauen. Das sind 54 Prozent aller Mitarbeitenden.“ Unter den Abteilungsleitungen im Hochschulmanagement sei ihr Anteil sogar noch größer. Gerade deshalb sei die HAWK für Frauen ein geschützter Raum, in dem sich alle Mitarbeiterinnen auf ein offenes Ohr und Unterstützung verlassen könnten.
Das Team des HAWK-Gleichstellungsbüros berichtete über seine Aktivitäten des vergangenen Jahres. Der Zukunftstag für Mädchen und Jungen beispielsweise habe sich mit rund 300 Workshopplätzen an der HAWK zu einer regelrechten Großveranstaltung entwickelt, so Nicola Hille, Hauptberufliche Gleichstellungsbeauftragte. Von Projekten aus gleichstellungspolitischen Mitteln über Netzwerktreffen von angehenden Ingenieurinnen und Aktionen zu Gedenktagen bis hin zum Erfolg im Professorinnenprogramm 2030 und den Aktivitäten des Familienservice konnte das Team über kleine und große Meilensteine berichten.
Für 2025 konnte Nicola Hille auch einige Aktivitäten ankündigen. So wird es zum ersten Mal eine Autumn School des Netzwerks Genderforschung geben, die sich an Forschende und auch interessierte Masterstudierende richtet. Sie findet unter dem Titel „Bildung – Macht – Arbeit“ von Dienstag, den 30. September 2025, bis Donnerstag, 02. Oktober 2025, in Hildesheim statt. Zu Beginn des Sommersemesters können sich Forschende, Lehrende und Absolvent*innen außerdem für den Preis für Genderforschung bewerben, der gegen Ende des Jahres in Kooperation mit der Fakultät Gestaltung am Campus Weinberg vergeben wird.
Das Engagement rund um die Gleichstellung von Frauen – in der Hochschule und außerhalb – habe aktuell noch an Relevanz gewonnen, betont Nicola Hille. „Wir müssen darauf achten, dass uns die Rechte, die unsere Vorgängerinnen erkämpft haben, erhalten bleiben. Frauenrechte sind zurzeit unter Beschuss. Für uns gilt immer, einen Blick darauf zu haben.“
Am Abend konnte das HAWK-Gleichstellungsbüro den Film „The day Iceland stood still“ als Preview im Kooperations-Kino „Thega“ in Hildesheim anbieten. Nach einem Sektempfang begrüßte Nicola Hille das Publikum im vollbesetzten Kinosaal und lud es auf eine historische Zeitreise ein: 50 Jahre jährt sich inzwischen der „Tag ohne Frauen“ in Island. Am 24.Oktober 1975 legten 90 Prozent der Frauen ihre Arbeit nieder, an diesem Tag arbeiteten sie nicht, kochten nicht und versorgten ihre Kinder nicht, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Heute ist Island eines der fortschrittlichsten Länder der Welt in diesem Bereich.
„Wir planen in Zukunft mehr Filmveranstaltungen zu gleichstellungsrelevanten Themen“, resümierte Nicola Hille an dem Abend, an dem die Gäste im Anschluss noch lange im Gespräch blieben und der Kinosaal für die nächste Vorführung frei gegeben werden musste. Seit dem 13. März ist der Film jetzt auch regulär in den Kinos.