HAWK untersucht außergewöhnliches Kirchenfundstück
Der genaue Standort bleibt ungewiss, Fotos von vor dem Zweiten Weltkrieg belegen jedoch, dass es nicht zum barocken Retabel gehörte. Gemeinsam mit Küster Andreas Kling konnten die Expertinnen der Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen von der Hildesheimer Fakultät Bauen und Erhalten dafür schon andere spannende Fragen zu dem ungewöhnlichen Fund klären.
Andreas Kling arbeitet seit 2019 in der St.-Andreas-Kirche und entdeckte beim Aufräumen seines Küsterbereichs im St.-Andreas-Turm ein Gemälde. Es war so verdreckt, dass sich das Motiv kaum noch erkennen ließ. Durch das ungewöhnliche Format von rund 248 x 90 Zentimetern hielt er es daher zunächst für eine beschädigte wertlose Leinwand, bis er unter den Dreckschichten schemenhaft Jesus von Nazareth durchschimmern sah und den Kirchvorstand informierte. Den Kontakt zur Hochschule knüpfte er schnell über Prof. Dr. Thorsten Albrecht, Leiter des Kunstreferates der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, hin zu Diplom-Restauratorin Ina Birkenbeul.
HAWK-Studentin Johanna Reckler suchte zu dieser Zeit gerade nach einem spannenden Abschlussthema für ihren Bachelorabschluss im Studiengang Konservierung und Restaurierung. „Mir gefiel die Idee, direkt in der Kirche arbeiten zu können“, sagt sie und verlegte ihr Studium in das Turmzimmer der St. Andreas-Kirche im Stadtzentrum von Hildesheim. Eine Hauptaufgabe der Abschlussarbeit umfasst vor allem die professionelle, sehr intensive Reinigung des Gemäldes, auch um überhaupt das Motiv wieder sehen zu können. Mit Ziegenhaarpinsel, Museumsstaubsauger und verschiedenen Schwämmen entfernt sie zwei Wochen lang vorsichtig die Staubschichten.
Inzwischen treten zwei Motive wieder klar zu Tage, die sich eine gemeinsame Leinwand teilen: „Zu sehen ist zum einen die Geißelung von Jesus von Nazareth links und rechts die Verhöhnung mit der Dornenkrone“, sagt Johanna Reckler – aufeinanderfolgend wie in der Bibel, gehören sie in einen Passionszyklus. Wie viele Stationen dieser einmal umfasst hat, bleibt ungeklärt. Stil und Anmutung ordnen das Gemälde klar der Barockzeit zu. „Die Maltechnik, die Art der Darstellung, die hell-dunkel Kontraste und schriftliche Quellen sprechen dafür, eine Entstehungszeit ab 1734 festzulegen“, so Reckler. Der Maler habe es extra für die neue Stilepoche angefertigt: „Es muss gut sichtbar in der Kirche gehangen haben“.
„Das Besondere an dem Stück ist, dass es auf dreieinhalb Bahnen Gewebe gemalt ist, was uns den Zweck hinterfragen lässt“, so Birkenbeul. Das querformatige Gemälde ist nun technologisch untersucht, dokumentiert, fotografiert und kartiert. Durch die Reinigung und Festigung der losen Farbschollen durch die Studentin ist der Bestand zunächst gesichert. Im nächsten Schritt müssen die Risse und Löcher im Gewebe geschlossen werden und die Kirchengemeinde muss über diesen Fund beraten, denn noch ist der weitere Verbleib dieses Gemäldes unklar.