Angehende Restauratorinnen bergen Wandmalereifragmente aus der Zeit Ramses II
Trotz des plötzlichen Todes von Frau Prof. Dr. Nicole Riedl-Siedow kurz vor Projektbeginn entschloss sich das Team einig dazu, dieses von ihr wunderbar vorbereitete Projekt in ihrem Sinne umzusetzen. In Qantir leitete der Archäologe und Ägyptologe Dr. Henning Franzmeier das Projekt. Alle Mitarbeiter/innen, Archäolog/inn/en, Ägyptolog/inn/en, Vermessungstechniker/innen und Restauratorinnen waren im charmanten Grabungshaus untergebracht, wo sie eine sehr gute Versorgung erhielten. Von dort ließ sich die am Ortsrand gelegene Grabung mit dem Auto in wenigen Minuten erreichten.
In der späten Bronzezeit befand sich im östlichen Nildelta Ägyptens eine der größten Siedlungen der damaligen Welt: Die Ramsesstadt Pi-Ramesse bedeckte eine Fläche von bis zu 15 Quadratkilometern und war das administrative Zentrum des ägyptischen Reiches in der 19. und 20. Dynastie (1292–1070 v. Chr.) unter so bedeutenden Herrschern wie Ramses‘ II, der von dort aus die Amtsgeschäfte führte. Hier verhandelten Hethiter und Ägypter den ersten bekannten Friedensvertrag der Menschheitsgeschichte und es lebten Menschen aus dem gesamten östlichen Mittelmeerraum von Griechenland bis zur Levante in der Stadt, wie es aus antiken Texten und den reichen archäologischen Funden hervorgeht. Die Reste der Ramsesstadt sind heute größtenteils nicht sichtbar. Sie liegen unter den Feldern des modernen Ortes Qantir im Nildelta.
Seit mehr als 35 Jahren graben Teams die Überreste der Ramsesstadt im Rahmen einer Grabung des Roemer-Pelizäus-Museums systematisch aus und erforschen sie. Aber erst letztes Jahr kamen gehäuft an einer Stelle bemalte Putzstücke zum Vorschein, die auf 1500 v. Chr. datiert werden. Die fragmentarischen Wandmalereien weisen auf eine mehrfarbige Wandgestaltung hin und sind in ihrer Art einmalig. Die Aufgabe des HAWK-Teams war es, die mehr als 3000 Jahre alten Wandmalerei-Fragmente aus der Erde zu bergen, zu reinigen, zu stabilisieren und wissenschaftlich zu untersuchen. Allein die Bergung aus dem feuchten Lehm war eine Herausforderung und erforderte neben viel Fingerspitzengefühl die Anwendung modernster Sicherungsmethoden. Die bemalten Putzfragmente waren in sich sehr instabil und lagen kreuz und quer, in sich verkeilt, in der Erde. Die weitere Reinigung von Lehm und Trennung einzelner Fragmente voneinander erfolgte am Tisch im Grabungshaus. Zur Bestimmung des Bindemittels im Putz kamen Salzsäure und die "Karbonatbombe" zum Einsatz, weitere Untersuchungen von Putz und Malschicht erfolgten mikroskopisch. Im Grabungshaus stand ein Stereomikroskop zur Verfügung, sodass sich anhand von einfachen chemischen Tests und Querschliffen einige Rückschlüsse auf die Technologie von Putz und Malerei ziehen ließen.
Nach erfolgter Untersuchung wurden die kostbaren Fragmente in eine reversible leichte Lehmmischung eingebettet und so lagerfähig gemacht. Nun schlummern sie in stabilen Holzkisten, systematisch nummeriert und beschrieben, bis die nächsten Restaurator/inn/en ihnen wieder ihre ganze Aufmerksamkeit schenken werden.
Heike Pfund M.A., Heritage, Preservation & Training