Wichtige Kompetenzen für den Berufsalltag im Studium erwerben
Mit der Studiengangsvertiefung KiMsta besteht im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit für Studierende die Möglichkeit, sich schon im Verlauf ihres Studiums als kompetente Ansprechpersonen für ein hochaktuelles und relevantes Thema ihres zukünftigen Berufsalltags zu qualifizieren.
KiMsta - Kinder mit Missbrauchserfahrung stabilisieren
Sexueller Missbrauch stellt ein weitaus größeres Problem dar, als lange angenommen wurde. Nachdem die Medien im Jahr 2010 zahlreiche Berichte über Missbrauchsfälle veröffentlicht hatten, hat auch die Politik das Thema aufgegriffen und in der Auseinandersetzung damit erkannt, dass pädagogische Fachkräfte hinsichtlich des Umgangs mit Kindern, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, besser qualifiziert werden müssen und einen diesbezüglichen Appell an die Hoch- und Fachschulen gerichtet. So schreibt der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): „Wissen über sexuellen Miss-brauch ist grundsätzlich für alle Berufsgruppen von Bedeutung, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. (…) Für eine nachhaltige Qualifikation braucht es (…) Curricula (…) in Ausbildung und Studium“ (Arbeitsstab des UBSKM, 2016a, S. 8). Gleichzeitig wurden die Träger pädagogischer Einrichtungen in die Pflicht genommen. In den Jahren 2012 und 2016 hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung schriftliche Vereinbarungen mit den Dachorganisationen u.a. von Kindertagesstätten, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Internaten getroffen. Darin verpflichten sich die Dachorganisationen dazu, dass ihr (zukünftiges) Personal im Umgang mit sexuellem Missbrauch qualifiziert ist (Arbeitsstab des UBSKM, 2016b). Das betrifft sowohl die Primär- und Sekundär-, als auch die Tertiärprävention von sexuellem Missbrauch (Schutz von Kindern/Aufdeckung von Missbrauchsfällen/Begleitung Betroffener). Der mit dem Abschluss der Studienvertiefung KiMsta einhergehende Nachweis ist deshalb von Vorteil für Bewerbungen (Wittmann & Ebert, 2018). Auch auf Landesebene engagiert sich die Politik für das Thema. Im Oktober 2020 wurde eine Enquetekommission eingesetzt, um Kinder in Niedersachsen zukünftig besser vor sexueller Gewalt zu schützen. Der Kommission oblag die Aufgabe, die Ergebnisse der bisherigen parlamentarischen, praktischen und wissenschaftlichen Bemühungen zur Verhinderung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt an Kindern zusammenzutragen und auszuwerten, um Verbesserungsmöglichkeiten zu bestehenden Maßnahmen zu erarbeiten (Landtag Niedersachsen, 2021). Ein auf wissenschaftlicher Basis gründendes Projekt, das die benannten politischen Ziele unterstützt, ist die Studienvertiefung KiMsta.
Von 2010 bis 2014 wurde an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK das Forschungsprojekt KiMsta (Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren) durchgeführt. Ziel des Projekts war es, auf der Basis dreier aufeinander aufbauender Studien (zwei Interview-Studien mit Expert*innen im Bereich „Sexueller Missbrauch und Traumatisierung“, schriftliche Befragung von über 700 pädagogischen Fachkräften aus Kindertagesstätten sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen) den Qualifizierungsbedarf pädagogischer Fachkräfte in Bezug auf das Thema Sexueller Missbrauch zu erfassen (Gebrande, 2014; Wittmann, 2014).
Aufbauend auf den Resultaten entstand zum einen eine auf die zentralen Inhalte zugeschnittene Weiterbildung für bereits in der Praxis tätige Fachkräfte. (Weitere Informationen hierzu finden sich unter folgendem Link: https://www.hawk.de/de/studium/fort-und-weiterbildung/kinder-mit-missbrauchserfahrungen-stabilisieren.) Zum anderen wurde für die Studiengänge Soziale Arbeit und Kindheitspädagogik die Studienvertiefung „KiMsta“ entwickelt, die seit 2015 angeboten wird (Wittmann, 2015a und b). Auf der Grundlage der ersten Evaluationsergebnisse drei Jahre später (Wittmann & Ebert, 2018; Wittmann, 2018), des Austauschs mit der Praxis und des kollegialen Diskurses erfolgten zwischen 2018 und 2021 einige Modifikationen und Erweiterungen.
In der Studienvertiefung lernen die Teilnehmenden,
- was sie als zukünftige Sozialarbeitende dazu beitragen können, dass Kinder mit geringerer Wahrscheinlichkeit Opfer von sexuellem Missbrauch werden,
- welche rechtlichen Regelungen es zum Umgang mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gibt,
- wie sie, wenn sich ihnen ein Kind mit Missbrauchserfahrungen anvertraut, so reagieren können, dass das Kind Entlastung erfährt, sich geschützt und unterstützt fühlt,
- welche weiteren Hilfen Kinder nach einer Aufdeckung zur Stabilisierung und Verarbeitung benötigen, insbesondere dann, wenn sie durch die sexuelle Gewalt traumatisiert sind,
- dass dem pädagogischen Kontakt auf allen Ebenen der Prävention eine besondere Bedeutung zukommt, da Sozialarbeitende wichtige Bezugspersonen von Kindern darstellen und sie in der Beziehung mit ihnen korrigierende Erfahrungen machen können.
Das Curriculum umfasst mindestens sechs Lehrveranstaltungen im Umfang von 18 SWS (s. Tab. 1) und vermittelt über einen Zeitraum von fünf Semestern Handlungskompetenzen im Bereich der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention von sexuellem Missbrauch (Wittmann, 2021).
Semester | Lehrveranstaltung | Modul | SWS |
---|---|---|---|
2. | Professionelle Identitätsbildung | S 02: Professionelle Identitätsbildung | 2 |
2. | Sexueller Missbrauch: Hinsehen, Handeln, Helfen | S 07: Psychologie in der Sozialen Arbeit | 2 |
3. und 4. | Beratung | S 10.1 + S 10.2: Gesprächsführung und Beratung I + II | 8 |
4. | Sexuelle Bildung in Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe | S 14.1: Handlungsfelder, Menschenrechte,Diversity I | 2 |
5. | Vertiefung SGB VIII - Kindeswohlgefährdung | S 15: Recht in ausgewählten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit | 2 |
5. | Professionelle Standards und berufliche Ethik in der Sozialen Arbeit | S 14.2: Handlungsfelder, Menschenrechte, Diversity II | 2 |
insgesamt 18 SWS |
Semester | Lehrveranstaltung | Modul | SWS |
2. | Praxisreflexion und Handlungsfelder | S 02: Einführung in die Profession der Sozialen Arbeit | 2 |
2. | Sexueller Missbrauch: Hinsehen, Handeln, Helfen | S 07: Psychologische Maßnahmen zur Prävention und Intervention | 2 |
3. u. 4. | Beratung | S 11: Gesprächsführung und Beratung | 8 |
4. | Sexuelle Bildung in Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe | S 13: Menschenrechte und Diskriminierung: Handlungsfelder der Sozialen Arbeit | 2 |
5. | Vertiefung SGB VIII - Kindeswohlgefährdung | S 14: Recht in ausgewählten Handlungsfeldern | 2 |
5. | Begleitveranstaltung | S 15: Vertiefungspraktikum | 2 |
S = 18 |
Studierende, die die oben aufgeführten Seminare im Rahmen des KiMsta-Curriculums belegen möchten, teilen dies den jeweiligen Dozierenden zu Beginn des Semesters mit. In den Lehrveranstaltungen des Curriculums müssen mindestens zwei Prüfungen mit einem expliziten Bezug zum Thema Sexueller Missbrauch abgelegt werden. Ein Leistungsnachweis sollte in einem Modul der Pflichtveranstaltungen erbracht werden. Bei dem zweiten Leistungsnachweis sollte es sich um den Praxisbericht in Modul S 02 oder S 14.2 handeln, innerhalb dessen eine Auseinandersetzung mit den primär-, sekundär- und/oder tertiärpräventiven Maßnahmen der Einrichtung erfolgt. Eine regelmäßige Teilnahme an den Seminaren und ggf. die Ableistung einer themenspezifischen Prüfung werden von den Dozierenden am Ende des Semesters in einer Curriculumverlaufsdokumentation bescheinigt.
Den Curriculumverlaufsbogen sowie weitere Informationen finden HAWK-Angehörige in Stud.IP unter den Ankündigungen der Einrichtung ► Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit ► Ankündigung KiMsta-Curriculum für die Studiengänge Soziale Arbeit und Kindheitspädagogik.
Seit seiner Einführung hat das KiMsta-Curriculum viel positive Resonanz erfahren. Aufgrund des mittlerweile bekannten Ausmaßes von sexuellem Missbrauch ist den Studierenden sehr bewusst, dass sie alle als Sozialarbeitende in ihrem Berufsleben mit von sexuellem Missbrauch Betroffenen und vor Missbrauch zu Schützenden in Berührung kommen werden. Die Studienvertiefung KiMsta bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, während des Studiums fundierte Handlungskompetenzen im Themenfeld „Sexueller Missbrauch und Traumatisierung“ zu erwerben, die für die Praxis von hoher Relevanz sind, eigene Handlungssicherheit schaffen und von Arbeitgeber*innen auch erwartet werden.
Die stetig zunehmenden KiMsta-Absolvent*innen sind mittlerweile als Multiplikator*innen für das Thema in unterschiedlichen Praxisbereichen wie Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen, Beratungsstellen und im Jugendamt tätig. Eine ehemalige Studentin führt beispielsweise ein selbst entwickeltes Programm zur Prävention von sexuellem Missbrauch mit Grundschulkindern durch, andere arbeiten traumapädagogisch im stationären Setting oder sind bereits selbst als Referent*innen zu dem Thema Sexueller Missbrauch tätig. Je mehr qualifizierte Sozialarbeitende dazu kommen, desto mehr können sie bewirken.
- Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2016a). Forschung zu sexuellem Missbrauch – Vom Tabu zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Download [am 21.10.2021] von https:// https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Pressemitteilungen/Forderungskatalog_Forschung.pdf
- Arbeitsstab des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2016b). Vereinbarungen zwischen dem Unabhängigen Beauftragten und Dachorganisationen. Download [am 21.10.2021] von https://beauftragter-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Praevention/Partner/Neue_Vereinbarungen/160216_Vereinbarung_UBSKM_EKD.pdf
- Gebrande, J. (2014). Kinder mit sexualisierter Gewalterfahrung unterstützen: Bedarfsanalyse von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. Opladen: Budrich UniPress.
- Landtag Niedersachsen (Hrsg.) (2021). Enquetekommission. Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern. Download [am 6.04.2021] von https://www.landtag-niedersachsen.de/plenum-ausschuesse-gremien/kommissionen/enquetekommission-kindesmissbrauch
- Wittmann, A. J. (2014). Qualifizierung im Bereich der Tertiärprävention von sexuellem Missbrauch: Didaktisch-methodische Aspekte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung, Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen, 10 (2), 83-93
- Wittmann, A. J. (2015a). Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren. Handlungssicherheit für den pädagogischen Alltag. München: Reinhardt.
- Wittmann, A. J. (2015b). Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren: Das Hildesheimer Curriculum zur Aus- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte. In: M. Macsenaere, J. Klein, M. Gassmann & S. Hiller (Hrsg.), Sexuelle Gewalt in der Erziehungshilfe: Prävention und Handlungsempfehlungen (S. 69-85). Freiburg: Lambertus
- Wittmann, A.J. (2018). Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren (KiMsta). Entwicklung und Evaluation eines Qualifizierungsangebots für Studierende und pädagogische Fachkräfte, Soziale Arbeit und Gesundheit im Gespräch, 9, 1-40.
- Wittmann, A.J. (2021). KiMsta (Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren). Ein forschungsgestütztes Qualifizierungsangebot. Flyer. Hildesheim: HAWK.
- Wittmann, A.J. & Ebert. J. (2018). Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren. Evaluation einer forschungsgestützten Studienvertiefung für angehende Sozial- und Kindheitspädagog/inn/en. Poster. Hildesheim: HAWK.