Zusätzliche Qualifikation für den Beruf

Die Studienvertiefung KiMsta (Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren) ist ein Qualifizierungsangebot im Themenbereich Sexueller Missbrauch und Traumatisierung. Zielgruppe sind Studierende der Kindheitspädagogik und der Sozialen Arbeit.

Seit dem Missbrauchsskandal im Jahr 2010, als zahlreiche Menschen über sexualisierte Gewalt berichteten, die sie in ihrer Kindheit und Jugend erlebt hatten, hat das Thema „sexueller Missbrauch“ die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit geweckt (Bergmann 2024). Auch von der Politik wurde das Thema aufgegriffen und in der Auseinandersetzung damit erkannt, dass es sich um ein wesentlich größeres Problem handelt, als lange angenommen worden war. Kinder und Jugendliche, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, benötigen professionelle Hilfe, um ihre belastenden oder gar traumatischen Erfahrungen bewältigen zu können. Diese Hilfe bezeichnet man als Tertiärprävention oder Intervention. Primärprävention nennt man den Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt und Sekundärprävention meint die (möglichst frühe) Aufdeckung von sexuellem Missbrauch (Amann, 2023). Um auf allen drei Ebenen der Prävention tätig werden zu können, müssen pädagogische Fachkräfte dafür geschult werden, was von der Politik mit Nachdruck gefordert wird. 

In den Jahren 2012 und 2016 hatte der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung mit den Dachorganisationen u.a. von Kindertagesstätten, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Internaten schriftliche Vereinbarungen getroffen, in denen sich die Dachorganisationen dazu verpflichten, dass ihr Personal im Umgang mit sexuellem Missbrauch qualifiziert ist (Arbeitsstab des UBSKM, 2016a). Der mit dem Abschluss der Studienvertiefung KiMsta einhergehende Nachweis ist deshalb von Vorteil für Bewerbungen. 

Ende 2019 hat sich auf bundespolitischer Ebene der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen konstituiert und hat 2022 zum Ziel erklärt, das Thema Kinderschutz in der Ausbildung aller relevanten Berufe zu verankern (Nationaler Rat, 2022). Die aktuelle Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs formuliert und kritisiert für den Arbeitsbereich Kindertagesstätten: „Fachkräfte in Kitas brauchen Handlungskompetenz im Umgang mit sexueller Gewalt an Kindern. Diese fehlt ihnen aber oftmals, da dieser Themenkomplex bisher kein verpflichtender Teil der Ausbildung ist“ (Kerstin Claus, UBSKM, im Interview mit Anna Hückelheim am 15.03.2024). Bereits ihr Vorgänger äußerte: „Wissen über sexuellen Missbrauch ist grundsätzlich für alle Berufsgruppen von Bedeutung, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.  (…) Für eine nachhaltige Qualifikation braucht es (…) Curricula (…) in Ausbildung und Studium“ (Arbeitsstab des UBSKM, 2016b, S. 8). Das in den Studiengang der Kindheitspädagogik integrierte KiMsta-Curriculum vermittelt Handlungskompetenzen auf allen drei Ebenen der Prävention. 

Auch auf Landesebene engagiert sich die Politik für das Thema. Von Herbst 2020 bis Herbst 2022 wurde eine Enquetekommission eingesetzt, um Kinder in Niedersachsen besser vor sexueller Gewalt zu schützen. Der Kommission oblag die Aufgabe, die Ergebnisse der bisherigen parlamentarischen, praktischen und wissenschaftlichen Bemühungen zur Verhinderung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt an Kindern zusammenzutragen und auszuwerten, um Verbesserungsmöglichkeiten zu bestehenden Maßnahmen zu erarbeiten (Kinderschutz in Niedersachsen, 2025; Niedersächsischer Landtag, 2022). 

Ein auf wissenschaftlicher Basis gründendes Projekt, das die benannten politischen Ziele unterstützt, ist die Studienvertiefung KiMsta.

Von 2010 bis 2014 wurde an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK das Forschungsprojekt KiMsta (Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren) durchgeführt. Ziel des Projekts war es, auf der Basis dreier aufeinander aufbauender Studien (zwei Interview-Studien mit Expert*innen im Bereich „Sexueller Missbrauch und Traumatisierung“ und eine schriftliche Befragung von über 700 pädagogischen Fachkräften aus Kindertagesstätten sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen) den Qualifizierungsbedarf pädagogischer Fachkräfte in Bezug auf das Thema Sexueller Missbrauch zu erfassen (Gebrande, 2014; Wittmann, 2014).
Aufbauend auf den Resultaten entstand zum einen eine auf die zentralen Inhalte zugeschnittene Weiterbildung für bereits in der Praxis tätige Fachkräfte. (Weitere Informationen hierzu finden sich unter folgendem Link: https://www.hawk.de/de/studium/fort-und-weiterbildung/kinder-mit-missbrauchserfahrungen-stabilisieren.) Zum anderen wurde für die Studiengänge Kindheitspädagogik und Soziale Arbeit die Studienvertiefung „KiMsta“ entwickelt, die seit 2015 angeboten wird (Wittmann, 2015 und 2025). Auf der Grundlage der ersten Evaluationsergebnisse drei Jahre später (Wittmann & Ebert, 2018; Wittmann, 2018) sowie des kontinuierlichen Austauschs mit der Praxis und des kollegialen Diskurses erfolgten seitdem einige Modifikationen und Erweiterungen.
 

In der Studienvertiefung lernen die Teilnehmenden,

  • was sie als zukünftige Kindheitspädagog*innen dazu beitragen können, dass Kinder mit geringerer Wahrscheinlichkeit Opfer von sexuellem Missbrauch werden,
  • welche rechtlichen Regelungen es zum Umgang mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gibt
  • wie sie eine gesamtgesellschaftlich kritische Haltung einnehmen können, um Strukturen zu hinterfragen, die sexualisierte Gewalt begünstigen, und somit zur Sensibilisierung und Aufklärung beizutragen,
  • wie sie, wenn sich ihnen ein Kind mit Missbrauchserfahrungen anvertraut, so reagieren können, dass das Kind Entlastung erfährt, sich geschützt und unterstützt fühlt,
  • wie sie mit ihrem eigenen Schrecken umgehen können,
  • welche weiteren Hilfen Kinder nach einer Aufdeckung zur Stabilisierung und Verarbeitung benötigen, insbesondere dann, wenn sie durch die sexuelle Gewalt traumatisiert sind,
  • dass dem pädagogischen Kontakt auf allen Ebenen der Prävention eine besondere Bedeutung zukommt, da Kindheitspädagog*innen wichtige Bezugs­per­so­nen von Kindern darstellen und sie in der Beziehung mit ihnen korrigierende Erfahrungen machen können.

Das Curriculum umfasst sechs Lehrveranstal­tungen im Umfang von 18 SWS und ver­mittelt über einen Zeitraum von fünf Semestern Hand­lungs­­kompetenzen im Bereich der Pri­mär-, Sekundär- und Tertiär­präven­tion von sexuellem Miss­brauch.

SemesterLehrveranstaltungModulSWS
1.Recht der Kindertageseinrichtungen SGB VIIIK 02: Einführung in das Kindheitsrecht2
3.EntwicklungsstörungenK 07.2: Entwicklungspsychologische Vertiefung2
3.Sexuelle Bildung in kindheitspädagogischen EinrichtungenK 09: Gesundheit und Prävention2
3.Sexueller Missbrauch: Hinsehen, Handeln, HelfenK 09: Gesundheit und Prävention8
4. und 5.BeratungK 10.1 + K 10.2: Gesprächsführung und Beratung I + II2
5.Reflexion der PraxisK 12.2: Reflektierte pädagogische Praxis II2
   18

 

 

Weitere Informationen zu den Inhalten finden sich im Downloadbereich in der Datei Lerneinheiten.

SemesterLehrveranstaltungenModulSWS
1.Recht der Kindertageseinrichtungen SGB VIIIK 02: Einführung in das Recht der Kinder2
3.EntwicklungsstörungenK 07.2: Entwicklungspsychologische Vertiefung2
3.Sexuelle Bildung in kindheitspädagogischen EinrichtungenK 09: Gesundheit und Prävention2
3.Sexueller Missbrauch: Hinsehen, Handeln, HelfenK 09: Gesundheit und Prävention2
4. u.5.BeratungK 11: Gesprächsführung und Beratung8
5.Reflexion der PraxisK 14: Reflektierte pädagogische Praxis II: Vertiefung2
   S = 18

Weitere Informationen zu den Inhalten finden sich im Downloadbereich in der Datei Lerneinheiten.

Studierende, die die oben aufgeführten Seminare im Rahmen des KiMsta-Curriculums belegen möchten, teilen dies den jeweiligen Dozierenden zu Beginn des Semesters mit. In den Lehrveranstaltungen des Curriculums müssen mindestens zwei Prüfungen mit einem expliziten Bezug zum Thema Sexueller Missbrauch abgelegt werden. Eine regelmäßige Teilnahme an den Seminaren und ggf. die Ableistung einer themenspezifischen Prüfung werden von den Dozierenden am Ende des Semesters in einer Curriculumverlaufsdokumentation bescheinigt.
Der Curriculumverlaufsbogen und eine Übersicht der Lerneinheiten des KiMsta-Curriculums können untenstehend heruntergeladen werden.
 

Seit seiner Einführung hat das KiMsta-Curriculum viel positive Resonanz erfahren. Aufgrund des mittlerweile bekannten Ausmaßes von sexuellem Missbrauch ist den Studierenden sehr bewusst, dass sie alle als Kindheitspädagog*innen in ihrem Berufsleben mit von sexuellem Missbrauch Betroffenen und vor Missbrauch zu Schützenden in Berührung kommen werden. Die Studienvertiefung KiMsta bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, während des Studiums fundierte Handlungskompetenzen im Themenfeld „Sexueller Missbrauch und Traumatisierung“ zu erwerben, die für die Praxis von hoher Relevanz sind, eigene Handlungssicherheit schaffen und von Arbeitgeber*innen auch erwartet werden.
Die stetig zunehmenden KiMsta-Absolvent*innen sind mittlerweile als Multiplikator*innen für das Thema in unterschiedlichen Praxisbereichen wie Kindertagesstätten, Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe und Schulen tätig. Eine ehemalige Studentin führt beispielsweise ein selbst entwickeltes Programm zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Grundschulen durch, andere arbeiten traumapädagogisch im stationären Setting oder sind bereits selbst als Referent*innen zu dem Thema Sexueller Missbrauch tätig. Je mehr qualifizierte Kindheitspädagog*innen dazu kommen, desto mehr können sie bewirken.
 

Hinweis zur aktualisierten Ausgabe des Arbeitsbuches:

Im Reinhardt-Verlag ist eine überarbeitete und aktualisierte Auflage des Buches „Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren – Handlungssicherheit für den pädagogischen Alltag“ erschienen. Dieses Arbeitsbuch unterstützt die Teilnehmenden der Studienvertiefung in ihrem begleitenden Selbststudium und wendet sich zudem an Praktiker*innen (in erster Linie pädagogische Fachkräfte, aber auch Lehrkräfte, Berater*innen und Ehrenamtliche), die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, die von sexualisierter Gewalt betroffen waren oder die davor zu schützen sind.