Erscheinungsdatum: 06.08.2015

Achtzig Studierende nehmen 10.000 Fotos vom Hambacher Forst auf // Ausstellung soll in Aachen, Düren und Hildesheim gezeigt werden

Achtzig Studierende nehmen 10.000 Fotos vom Hambacher Forst auf // Ausstellung soll in Aachen, Düren und Hildesheim gezeigt werden

Forensische Bestandsaufnahme eines für den Tagebau aufgegebenen Waldes

Am Ende stehen sie wieder im Wald. Aber anstatt selbst zu fotografieren, sind diesmal sie im Mittelpunkt, als Fotograf/inn/en mit ihren Erlebnissen. Ort: Der Galgenberg bei Hildesheim. Zeitpunkt: Ende Juli. Die Teilnehmer/innen: Studierende der Fakultät Gestaltung an der HAWK und Andreas Magdanz - er ist Dozent an der HAWK Fakultät Gestaltung, Initiator und selbst Fotograf. Das Projekt: Ein Making Of einer ganz besonderen Foto-Aktion.

Es soll ein Resümee dessen werden, was vor einigen Wochen viele hundert Kilometer weiter im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen passiert ist, am Rande des großen Braunkohletagebaus Hambach.

Rund achtzig Studierende hatten zur Aufgabe gehabt, mindestens jeweils hundert Fotos vom Hambacher Forst anzufertigen. Etliche von ihnen kamen aus der Fakultät Gestaltung an der HAWK in Hildesheim.

Aber wie fotografiert man nun einen Wald? Sie zogen ähnlich einer Polizeikette mit ihren Kameras und Stativen Stück für Stück in den Wald und fotografieren ihn: „Es ist eine forensische Bestandsaufnahme des Hambacher Forstes“, sagt Andreas Magdanz. „Der Forst, ein Primärwald und uralt, wird in den beiden nächsten Jahren verschwinden, er ist vom Tagebau bedroht.“ Zum Schluss treffen sie auf ein Stück stillgelegte Autobahn, die A4.

Zwar werde man den Prozess nicht aufhalten können, es sei aber sinnvoll gewesen, diese Arbeit mit den Studierenden zu machen. Magdanz kennt die Gegend und auch die Tatsache, dass eine ganze Landschaft für den Braunkohletagebau weggebaggert wird. Seit 36 Jahren beschäftige ihn dieses Vorgehen, dass Dörfer zuerst aufgekauft, zu Geisterdörfern mutieren, später abgerissen werden und dann ganz verschwinden. Ähnlich soll es nun dem Hambacher Forst ergehen.

Mit den Studierenden ist Magdanz für die Fotoaktion Ende Juni für einen Tag im Forst bei Hambach. Für viele eine intensive Erfahrung, als sie sich auf den Wald und die Stimmung einlassen. Alle kommen mit unterschiedlichen Eindrücken zurück:

Karsten Piorr, Student an der HAWK (Lighting Design), erzählt im Making Of von seinen Erfahrungen mit den Baumbesetzern, die in einem Waldcamp leben und mit denen er kurze Zeit verbringt:

„Die Leute dort waren sehr freundlich, fühlten sich anfangs etwas überrumpelt von uns. Am Ende war es eine sehr schöne Atmosphäre, es sind sehr freundliche und friedliche Menschen“, sagt er.

Eine Studierende, die sich mit Pseudonym Culpeo Fox nennt, sagt in den Interviews, dass sie gemerkt habe, dass etwas Großes dahinterstecke. Der Wald bot ihr eine ganz andere Raumerfahrung: „Wir haben selten noch die Möglichkeit in Deutschland, dass man sich in einem Wald verlaufen kann. Und ich habe mich dort in der Tat verlaufen. “Sie habe den Wald mit seiner ganzen Urtümlichkeit genossen. „Es gab einen Moment, als ein Rehkitz aufgescheucht wurde, und es war so ein Augenblick, den man vielleicht als magisch bezeichnen könnte.“

Ihre Kommilitonin Alina Ahrens (Grafik Design) war mit ihren Fotografien im Wald sehr zufrieden. Sie möchte das Projekt für sich persönlich noch einmal in Ruhe fortsetzen und auf eigene Faust in den Forst zurückkehren. Das eindrücklichste Erlebnis für sie war, als alle zusammen auf das verlassene Autobahnstück trafen: „Die Situation auf der A44 hatte auch etwas Surreales an sich, wie bei einem Endzeitszenario: Eigentlich müssten da viele Autos fahren. Nun wird alles wegen des Tagebaus niedergemacht.“

Ähnliches hatte Christian Wolters (Lighting Design) erlebt: „Wir mussten eine ganzes Stück, weil wir etwas abseits gegangen sind, über die leere Autobahn laufen. Das war ein cooles Gefühl, aber im Endeffekt auch beängstigend, dass da einfach eine Autobahn rumsteht, wo nichts passiert.“

Der Film, das „making of“, soll nun ein Teil einer großen multimedialen Ausstellung zusammen mit den zehntausend Fotos und vielen Videos werden. Diese soll an verschiedenen Orten gezeigt werden: in Aachen, in Düren in einer ehemaligen Psychiatrie und auch in Hildesheim.

Insgesamt ist Andreas Magdanz mit den bisherigen Erfahrungen sehr zufrieden, denn man habe zwei Hochschulen zusammengeführt, die RWTH Aachen und die HAWK mit rund achtzig Leuten: “Ich habe bei der ersten Sichtung der Filmaufnahmen nur lachende und entspannte Gesichter gesehen. Ich denke, das die Aktion für jeden einzelnen ein bisschen Bedeutung bekommen hat.“

Magdanz fand die positive Energie, die er während der Fotoaktion bei seinen Studierenden spürte, sehr beeindruckend. Auch wenn am Ende die Chance, dass der Wald doch noch stehen bleibe, nur sehr gering sei, habe es sich dennoch gelohnt, denn „die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt“.

Vor kurzem wurde er zu einem Gespräch in den Landtag von NRW mit Parteienvertretern und der Polizei eingeladen.

Jede Diskussion und jedes Gespräch mache dabei Sinn: „Damit hat man auch aus meiner Sicht fast das Maximum erreicht, wir haben bereits die Öffentlichkeit gehabt: Kulturzeit für 3sat, WestArt, WDR und eine Einladung in den Landtag“, so Magdanz, „Das ist der springende Punkt für mich: Es geht nicht nur um die Präsentation in Museen oder das eigene Ego zu bedienen, sondern mit den verantwortlichen Menschen zu reden und möglicherweise Einfluss zu nehmen. Damit ist genau an der Schnittstelle zwischen Fotografie, Kunst und gesellschaftlicher Relevanz auf einer Ebene, wo man Ernst genommen wird, wo es anfängt, spannend zu werden.“


Fotos aus dem Hambacher Forst:
Ana Laura Rodriguez Heinlein, Aryan Mirfendereski, Christian Wolters, Holger Martin, Karsten Priorr, Torsten Spinti

Weitere Informationen:

  • Fakultät Gestaltung
  • Andreas Magdanz
HAWK HAWK