Erscheinungsdatum: 01.11.2013

Fortbildungsveranstaltung zum Thema \"Wohnungsdesorganisation\"

Der Referent Wedigo von Wedel (H-Team e.V., München) präsentierte Bildaufnahmen, auf denen Wohnungen zu sehen sind, die charakterisiert sind durch eine „über haushaltsübliche Mengen hinausgehende“ Hortung von Lebensmitteldosen und Kleidung. Aber auch Wohnungen in denen unhygienische Zustände herrschen, bedingt durch die Anhäufung von Exkrementen, das Ausbleiben von Müllentsorgungen und Reinigungstätigkeiten, erscheinen auf der Leinwand. Unabhängig von der jeweiligen Erscheinungsform erzeugt das Phänomen Wohnungsdesorganisation bei professionellen Helfern und Helferinnen einen hohen Handlungsdruck bei gleichzeitig erheblicher Fassungs- und Hilflosigkeit.

Desorganisierte Wohnverhältnisse sind keine Seltenheit, so Sina König (HAWK Holzminden) und verdeutlicht diese Aussage anschaulich durch die Auswertung einer statistischen Erfassung (Erhebungsbereich: Landkreis Holzminden, Medizinische Fachdienste und Betreuungsstelle, Sozialpsychiatrischer Dienst). Während 2002 noch 40 Verwahrlosungs- und Vermüllungsfälle gemeldet wurden, ist die Anzahl mittlerweile auf über 60 Wohnungen angestiegen (Stand 2012). Zu den häufigsten Erkrankungen, die in Zusammenhang mit derartigen Wohnverhältnissen erscheinen, zählen neben Depressionen und Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis die Abhängigkeit von Alkohol.

Dieser Umstand sei laut von Wedel auch in München zu beobachten. Jedoch gäbe es auch Personen, die keine derartigen Diagnosen aufweisen:

  • Menschen die Dinge sammeln, die für sie einen hohen subjektiven - jedoch nicht immer funktionalen - Wert darstellen.
  • Menschen, die ihre eigenen Ordnungsschemata haben, die für Außenstehende vielleicht schwer erkennbar sind.
  • Menschen, die Angst haben Entscheidungen zu treffen und die sich stets die Option offen halten wollen, Dinge endgültig zu entsorgen.
  • Menschen, die sich an Gegenstände binden, um vorliegende Defizite der Befriedigung von Primärbedürfnissen zu kompensieren.
  • Menschen, die sich unbedingte Anerkennung und Wertschätzung wünschen, die jedoch in ihrer Biographie nur belohnt wurden, wenn sie Leistung erbrachten.
  • Menschen die einen geringen Selbstwert haben und sich stets dem Druck ausgeliefert fühlen, etwas tun zu müssen.

Doch was können wir als professionelle Helfer und Helferinnen tun, um Betroffene zu unterstützen? Der Mensch muss im Fokus jeglicher Interventionen stehen, aus Sicht der Betroffenen stellt jede Form der Fremdeinwirkung eine Bedrohung dar. Wie würde es uns dabei ergehen, wenn einfach jemand in unseren privaten Raum eindringen und entscheiden würde, welche Dinge aus unserer Wohnung entfernt werden können? Vermutlich würden sich viele von uns gegen derartige Handlungen wehren.

Unsere Wohnung ist der Spiegel unserer Persönlichkeit und unseres (Lebens-)stils. Zuhause herrschen unsere Regeln, wir bestimmen was, wie und wo in "unserem Reich" platziert wird, auch wenn vielleicht einer unserer Besucher/Besucherin meint, die Pflanze würde besser auf der Fensterbank stehen als auf der Kommode im Wohnzimmer. Letztlich entscheiden wir den Ort der Platzierung.

Sämtliche "professionellen Gäste", die im häuslichen Kontakt zu Personen stehen, deren Wohnungen offensichtlich nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen von Ordnung entspricht, sollten sich auch als Gäste verhalten.

Von enormer Bedeutung sei das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner und Bewohnerinnen zu akzeptieren.Es müsse die Option offen bleiben, Dinge auch wieder aus Müllsäcken herausholen zu können, auch wenn zuvor etliche Stunden dafür aufgebracht wurden, diese auszusortieren. Nur so würde man den Druck und die Angst bei den Betroffenen reduzieren können, so von Wedel.

  • Schaffe ich es als Professioneller/Professionelle Vertrauen zu einem Menschen aufzubauen, der jeglichen Sozialkontakten misstrauisch und skeptisch gegenüber steht, weil er schlichtweg die Erfahrung machen musste, dass Grenzen überschritten und Bedürfnisse nicht respektiert wurden.
  • Schaffe ich es im besten Fall auch Veränderungen im inneren und äußeren Chaos bewirken zu können.

Wichtig sei die Lebenssituation verstehen zu wollen. Nur durch eine empathische Grundhaltung könne man Zugang zu möglichen Sammelmotiven erlangen.

Auch wenn es im Landkreis Holzminden derartige Dienstleister wie das H-Team e.V. in München nicht gibt und auch die Strukturen nicht unmittelbar vergleichbar sind, so konnten die Fortbildungsteilnehmer und -teilnehmerinnen von den praktischen Hinweise für die Alltagsarbeit profitieren. Das Thema "Wohnungsdesorganisation" ist relevant und dass nicht nur in Handlungsbereichen der Sozialen Arbeit. Mit dem Wunsch nach Folgeveranstaltungen dieser Art verließen die rund 80 Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Altendorfer Hof und die Stadt Holzminden.

E-Mail an Sina König, M.A. Soziale Arbeit
Dissertationsprojekt:
Lebenswelten von Bewohnerinnen desorganisierter Wohnungen

Fortbildungsveranstaltung zum Thema "Wohnungsdesorganisation" Forschungsprojekt-Wohnungsdesorganisation - Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen Holzmind Forschungsprojekt-Wohnungsdesorganisation - Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen Holzmind