„Summer School“ mit interdisziplinärer Praxis zu Archäologie und Restaurierung

Erscheinungsdatum: 30.07.2024

Die zweiwöchige „Summer School“ der deutschen HAWK Hildesheim und der Ludwig-Maximilians-Universität München vermittelt in enger Kooperation mit der Minia University und dem Ministry of Tourism and Antiquities in Ägypten interdisziplinäre Archäologie und Ägyptologie, Konservierung und Restaurierung sowie Bauforschung.

Konzentriert schauen sich Studierende die verschiedenen Steinoberflächen der St. Michaliskirche an. Sie stehen an der Nordseite des Hauptschiffs, und haben als Vorlage eine Zeichnung, ein steingerechtes Aufmaß vor sich – nun untersuchen sie gemeinsam die gezeichneten Steinflächen und bestimmen die Art der Gesteine, die Werkzeugspuren und deren Zustand auf den Plänen mit verschiedenen Farben.

 

„Die Kartierung macht man, um herauszufinden, welche Teile des Gebäudes wirklich ursprünglich sind und welche Teile vielleicht durch spätere Restaurierungen hinzugekommen sind. Man versucht so ein voll umfassendes Bild zu bekommen“, sagt Chloé Hönisch Gravel – sie studiert im Masterstudiengang Architektur, eine Vertiefungsrichtung für Bauen im Bestand/Baudenkmalpflege an der HAWK und nimmt an der Summer School teil. Die St. Michaeliskirche sei ein anschauliches Beispiel dafür zu untersuchen, was zum ursprünglichen Baubestand gehörte und was in späteren Zeiten dazugekommen ist.

Hinter der Gruppe liegt bereits eine Woche mit einem intensiven Programm, gestaltet und durchgeführt von Prof. Dr. Regine Schulz (LMU und Hochschulrat HAWK) und Dr. Sven Kielau (freiberuflicher Archäologe), die das Projekt leiten und koordinieren: Nach einem Workshop-Tag an der HAWK besichtigte die Gruppe das Roemer- und Pelizaeus-Museum (RPM) und das Dommuseum, und unternahm einen Tagestrip nach Hannover zum Museum August Kestner. Zwischendurch gab es immer wieder archäologische Fach-Workshops und –Vorträge im RPM und an der HAWK. Nun steht eine Praxiseinheit am Weltkulturerbe St. Michaelis an.

Die ägyptischen Studierenden sind sehr positiv gestimmt: „Es ist wundervoll, dass deutsche und ägyptische Studierende hier gemeinsam Erfahrungen sammeln können“, sagt zum Beispiel Gerges Adel Lamie Ebrhim, Dozent an der Fakultät der Künste, im Fachbereich Archäologie an der Universität Mina, der die Gruppe begleitet. Für Esraa Talaat Mahmoud Sayed, 23-jährige Restaurierungsstudentin an der Uni Minia ist es das erste Mal, außerhalb von Ägypten zu reisen – daher fand sie es sehr aufregend nach Deutschland zu kommen. Sie habe sehr viel von ihren Kolleg*innen und den Dozent*innen lernen können, sagt sie. Basma Ahmed Abdelbari könne sich sogar vorstellen, irgendwann einmal in Deutschland zu studieren. Insbesondere habe die Konservierungsstudentin bei der Praxisübung an der Kirche viele Infos mitbekommen, über das Weltkulturerbe und fachlich zu Stein als Baumaterial dazugelernt.

Summerschool-Dozentin und HAWK-Prof. Dr. Barbara Beckett betont: „In jeder Summer School sind wir interdisziplinär - also Konservatoren, Architekten, Archäologen und Ägyptologen - und jeder darf eine kleine Lehreinheit gestalten. Und heute haben wir zum ersten Mal die Untersuchung an den Michaelis-Mauern gemeinsam durchgeführt.“ Die Summer School sei ohnehin für sie und für die Studierenden sehr motivierend: „Ich finde einfach, das Wichtigste ist bei diesem Austausch diese Freude bei allen zu erfahren und eine gute Gelegenheit, Englisch zu reden.“

 

Generell sei das Programm eine Mischung aus Konservierung, „Sehübung“, Kultur und Museumsbesuchen - wie zum Beispiel Objekte präsentiert werden – aber auch viel freie Diskussion: „Der Grundgedanke ist, dass die Studierenden lernen, sich auszudrücken und ihre eigene Meinung zu bilden.“

 

Verw.-Prof. Dr. Carolin Sophie Prinzhorn von der Fakultät Bauen und Erhalten ist für den fachlichen Aspekt der Architektur dabei. Sie habe beobachtet, dass alle ohne Scheuklappen miteinander umgehen würden: „Es gibt keine, zumindest aus meiner Sicht, offensichtlichen Fachbeschränkungen und -schranken. Alle sind offen, sich mit Themen zu befassen, die vielleicht gar nicht in ihr eigenes Studienfach passen.“

„Uns geht es darum, dass wir interdisziplinär und interkulturell miteinander arbeiten. Wir haben teilweise unterschiedliche Methoden und wir können dabei hervorragend voneinander lernen“, betont auch Projektleiterin Prof. Dr. Regine Schulz: „Uns geht es eben darum, dass gerade Studierende oder junge Kollegen interkulturell und interdisziplinär zusammenarbeiten.“

Dass nicht nur das Inhaltliche, sondern auch die interkulturellen Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil der Summer School sind, manifestiert sich am letzten Abend des Hildesheim-Aufenthaltes: Die Gruppe feierte gemeinsam mit Barbecue am Grillplatz beim Wildgatter. Am folgenden Tag erhalten alle Teilnehmenden in einer kleinen feierlichen Zeremonie an der Hochschule ihre Zertifikate verliehen.

Der ägyptische Projektleiter Prof. Dr. Hussein Muhammad Ali Ibrahim, Dozent für Konservierung an der Universität Minia, kennt Hildesheim gut – er hat Anfang der Neunzigerjahre an der HAWK – damals Fachhochschule – selbst studiert und in Deutschland seine Doktorarbeit geschrieben: „Zunächst einmal tauschen wir Wissen aus“, sagt er und betont so den höheren Zweck dieser Summer School. Deutschland sei im Bereich Konservierung sehr fortschrittlich, sagt er. Seine Studierenden würden die modernen Geräte, ihren Einsatz und auch die Techniken der Konservierung näher kennenlernen. „Andererseits haben die deutschen Studenten die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Ägyptologie und der ägyptischen Archäologie zu studieren. Wir haben ein Stück Grabungsland in Ägypten, sodass die deutschen Studierenden die Möglichkeit haben, auch auf diesem Gebiet Erfahrungen zu sammeln.“ Hussein Ibrahim spielt auf den kommenden Workshop – die Field School im September in Ägypten an, wo dann die deutschen HAWK-Studierenden und Dozent*innen zu Gast sein werden.

Neben einem umfangreichen Besuchsprogramm und der praktischen Grabungsarbeit solle auch eine Ausstellung sowie ein Katalog gemeinsam erstellt werden, ergänzt Regine Schulz.  

Die letzten Tage der Summer School verbringen die Studierenden in Berlin. Das Highlight, worauf sie sich alle freuen: Die Nofretete-Büste im Ägyptischen Museum, die auch als Bild das Logo der Universität Minia darstellt. Im September werden sich viele von ihnen bei der Field School in Minia in Ägypten wiedersehen.  

Die Summer School und Field School finden im Rahmen eines Kooperationsprojekts („Conservators & Archaeologists“) zwischen der Universität Minia, der HAWK, der LMU sowie weiteren Institutionen statt und werden in vollem Umfang vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD gefördert. Diese Partnerschaft soll fortgeführt und weiter vertieft werden (s. auch https://www.hawk.de/de/newsportal/pressemeldungen/austausch-und-vertiefte-zusammenarbeit-vereinbart ).