Erscheinungsdatum: 30.09.2014

Zehn Personen hieven Chorgestühl-Rückwand durchs Treppenhaus

Zehn Personen hieven Chorgestühl-Rückwand durchs Treppenhaus

Das Chorgestühl aus der evangelischen Kirche in Tobsdorf/Siebenbürgen hat schon einiges mitgemacht. Seit seiner Entstehung im Jahr 1537 ist das aufwändig gestaltete Möbelstück bereits das vierte Mal umgezogen, obwohl ein Chorgestühl meist zu dem festen Interieur einer Kirche zählt. Der aktuellste Umzug hat jetzt mit der HAWK-Werkstatt Möbel und Holzobjekte von der Kaiserstraße 19 auf den neuen Campus Weinberg in Haus D stattgefunden – auch mit fachkundiger und vor allem tatkräftiger Hilfe eines professionellen Umzugsteams kein leichtes Vorhaben.

Das Dorsal ist das größte Stück
Die Rückwand des sechsstalligen Chorgestühls, das so genannte Dorsal, hat nicht nur ein beachtliches Ausmaß bei 4,20 Metern Länge und 1,10 Metern Breite, sondern wiegt stolze 120 Kilogramm und stellt somit das größte Stück, das die alten Werkstätten des Studienganges Konservierung und Restaurierung der Fakultät Bauen und Erhalten verlässt.

Von Holzverpackung geschützt
Glücklicherweise gibt es die alte Holzverpackung noch, die Studierende 2010 zusammen bauten, um das Kunstobjekt unbeschadet den weiten Weg aus Rumänien in die HAWK-Werkstatt zu bringen. Mit Hilfe dieser Holzkonstruktion hieven zehn Personen das Dorsal zunächst über das Treppengeländer im ersten Stock einen Zwischenstock höher, bevor es dann senkrecht im Treppenauge acht Meter tief in die Hände der Mitarbeiter des Umzugsteams herabgelassen wird, die auch im Zwischenstock das schwere Holzobjekt durchreichen.

Das Betpult muss durchs Treppenhaus
Das Betpult des Chorgestühles mit der gleichen Länge und „nur“ 80 Zentimetern Höhe folgt auf die gleiche Weise in den Umzugswagen, der hinter der Bushaltestelle an der B1 parkt.
Werkstattleiter Dipl.-Restaurator Ralf Buchholz erinnert das nicht nur an den Einzug des Dorsals und des Betpultes über das enge Treppenhaus, sondern auch an den improvisierten Umzugstransport aus Siebenbürgen mit einem privaten PKW und Hänger über drei Landesgrenzen hinweg mit rund 1800 Kilometern Distanz.

Bei Forschungsreise entdeckt
„Wir haben dieses sechsstallige Chorgestühl der Südwand und ein dreistalliges Chorgestühl der Nordwand aus Tobsdorf damals bei einer Forschungsreise in der Kirche von Großau gefunden, dort lag es abgebaut auf Kirchenbänken und war in einem konservatorisch höchst bedenklichen Zustand“, so Buchholz. Durch einen Vertrag mit der evangelischen Landeskirche durfte das Objekt außer Landes geführt werden und HAWK-Professorin Dr. Gerdi Maierbacher-Legl übernahm die Leitung des umfangreichen Restaurierungsprojektes. „Wir hatten noch nie ein so großes Möbelstück in unserer Werkstatt, wir beschäftigen uns sonst hauptsächlich mit kleinen Objekten wie zum Beispiel Spieltischen, Spielbrettern, Miniaturmöbeln“, zählt Buchholz auf.

Glücksfall für Studienrichtung
An so einem ausgefallenen Stück aus der Spätgotik arbeiten zu dürfen, sei für den Studiengang und die Studierenden ein Glücksfall. Nach und nach entstehen immer weitere Forschungsarbeiten über das Objekt. Angefangen mit einer Bachelorthesis über einen der ersten Arbeitsschritte in Hildesheim: der Bekämpfung der Holz zerstörenden Insekten. Sechs Wochen lang erfolgt eine professionelle Stickstoff-Begasung. Mit Hilfe einer CAD-Zeichnung kann das Chorgestühl virtuell wieder zusammen gebaut und um die fehlenden Teile, ein Dorsal-Element und das Bodenpodest, ergänzt werden. Acrylharze festigen jetzt die extrem Fraß geschädigte Holzsubstanz, bestätigt die Erfolgskontrolle per Computer-Tomografie am St.Bernwards-Krankenhaus.

Ohne Schaden umgezogen
Die beschädigten (Link zum Film: http://www.hawk-hhg.de/lbt/113698_196810.php) Standkanten des Gestühles konnten durch einen 3D-Laser-Scan erfasst und die fehlenden Stücke passgenau mit der CNC-Fräse in den Laboren der Holzingenieure angefertigt werden. Das Kirchenmöbelstück ist inzwischen auch den Studentinnen Susanne Karius und Teodora Alexandra Szanto ans Herz gewachsen, gewissenhaft untersuchen sie mit Ralf Buchholz in der neuen Werkstatt, ob der Umzug den beiden Objekten auch wirklich nicht geschadet hat.

2017 soll es restauriert sein
Während Susanne Karius die aufwändigen Holzdekorationen (Blockintarsien) des Chorgestühles erforscht hatte und der Schäßburger Schreinerwerkstatt von Johannes Reychmut zuordnete, ergänzte Teodora Szanto den Wissensstand der HAWK um weitere Details des Künstlers aus ihrer Heimatregion, der im gleichen Zeitraum weitere Chorgestühle gefertigt hatte. 2017 – pünktlich zum Lutherjahr – wollen die Expert/inn/en der HAWK beide Chorgestühle wieder in einer Kirche in Siebenbürgen aufbauen, vermutlich in Mediasch. „Das wird besonders spannend“, so Buchholz, der die drei Meter hohen Chorgestühle noch nie stehend sah. Vorher gibt es einen Vorversuch in seiner Werkstatt und für den Rücktransport ein professionelles Umzugsunternehmen, verspricht er lachend.

Dipl.-Rest. Ralf Buchholz
Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl
Studiengang Restaurierung
Studienrichtung Möbel und Holzobjekte

Das Umzugsteam greift bei dem Chorgestühl auf die Hilfe der Werkstattleitungen und Professoren Das Umzugsteam greift bei dem Chorgestühl auf die Hilfe der Werkstattleitungen und Professoren