Erscheinungsdatum: 24.11.2015

Kunstgeschichte und Restaurierungsgeschichte für Restauratoren/innen: eine \"Schule des Sehens\" am Original

Wie gut müssen zukünftige Restauratoren/innen sich in Kunstgeschichte und Restaurierungsgeschichte auskennen, um Kunstwerke und Kulturzeugnisse richtig zu erkennen und fachgerecht zu erhalten? Welche historischen Kenntnisse brauchen sie, um Restaurierungsgeschichte zu verstehen? In den ersten beiden Semestern des BA-Studienganges Konservierung und Restaurierung erwerben die Studierenden an der HAWK ein solides Grundwissen in den Fächern Kunstgeschichte und Restaurierungsgeschichte. Das wird in Vorlesungen vermittelt und immer wieder durch das direkte Studium am Original verifiziert, bei externen Lehrveranstaltungen.

Der Standort Hildesheim bietet hierfür höchst qualitätvolles Anschauungsmaterial: An erster Stelle ist die Weltkulturerbestätte Dom und St. Michael zu nennen, zu der auch die reichen Bestände des Dommuseums und der Dombibliothek gehören. Hinzu kommen weitere sehr bedeutende mittelalterliche Kirchen mit ihrer Ausstattung, z. B. die Basilika von St. Godehard.
Bei der direkten Betrachtung dieser berühmten Bauwerke und Kunstwerke können zukünftige Restauratoren/innen ihre Beobachtungsgabe in vieler Hinsicht schulen: Mit welchen historischen Materialien und Techniken wurde das Werk gefertigt? Wie lässt sich die spezifische Handschrift eines Künstlers charakterisieren? Welche späteren Hinzufügungen und Veränderungen lassen sich bei einer ersten Inaugenscheinnahme erkennen? Kann man Hinweise auf vorangegangene Restaurierungen identifizieren? Welche denkmalpflegerischen und restauratorischen Auffassungen prägen das heutige Aussehen dieser Kulturdenkmale?
Mit studentischen Referaten und beim gemeinsamen Beobachten und Diskutieren von Studierenden und Lehrenden vor Ort – ob das nun die ehemalige Klosterkirche von St. Michael ist oder das vor kurzem wieder eröffnete Dommuseum – lassen sich Erkenntnisse aus den theoretischen Vorlesungen einprägsam vertiefen und objektspezifisch weiterführen. Beim genauen und reflektierten Hinschauen werden Parameter für eine "Schule des Sehens" ausgebildet, eine wesentliche Voraussetzung für die spätere restauratorische Tätigkeit.

Das Angebot an externen Lehrveranstaltungen zur Kunstgeschichte und Restaurierungsgeschichte beschränkt sich nicht auf Hildesheim. Neben kurzen Fahrten z. B. zur Besichtigung von Museen und Ausstellungen in Hannover, werden den BA-Studierenden auch mehrtägige Exkursionen angeboten, um spezifische Themen zu vertiefen. Zu den Zielen gehören unter anderem Nürnberg und München.

In den Nürnberger Kirchen und Museen lassen sich die künstlerischen Entwicklungen von der Spätgotik bis zur Renaissance besonders anschaulich nachvollziehen. Das gilt für große Künstlerpersönlichkeiten wie Veit Stoß und Albrecht Dürer, aber auch für weniger bekannte Künstler und Kunsthandwerker, deren Arbeiten die kulturhistorischen Entwicklungen in der Umbruchszeit zwischen dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit in ihrer ganzen Vielschichtigkeit aufzeigen.
Das bedeutende künstlerische Erbe der ehemaligen freien Reichsstadt und ihr bewegtes Schicksal in jüngerer Zeit haben Nürnberg auch zu einem Zentrum der Restaurierung und der Denkmalpflege gemacht. An Sakral- und Profanbauten in der historischen Altstadt lassen sich Konzepte und Methoden des Wiederaufbaus nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg exemplarisch nachvollziehen. '
Das restauratorische und denkmalpflegerische Bemühen, die erhaltenen originalen Fragmente wieder zusammenzuführen und in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu präsentieren, wird z. B. im wiederhergestellten Hirsvogelsaal des Tucherschen Gartenanwesens (heute Museum Tuchschloss) deutlich. Dieser berühmte Festsaal aus dem 2. Drittel des 16. Jahrhunderts mit den geschnitzten Wandvertäfelungen von Peter Flötner und dem monumentalen Deckengemälde des Dürer-Schülers Georg Pencz konnte im Jahr 2000 nach jahrelanger akribischer Arbeit von Bauforschern, Restauratoren und Denkmalpflegern wiedereröffnet werden.

Die berühmten Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg sind nicht nur ein Ort des Studiums bedeutender Zeugnisse der Kunst- und Kulturgeschichte. An zahlreichen Tafelgemälden, Skulpturen, Graphiken, Möbeln und anderen Objekten lässt sich auch die Erhaltungs- und Restaurierungsgeschichte dieser Werke anschaulich nachvollziehen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Sigismund-Sebastian-Altar, ein Werk von Hans Burkmair d. Ä. von 1505, das im frühen 17. Jh. in die Kammergalerie des Kurfürsten Maximilian I. gelangte, wo die Tafeln auseinandergenommen, angestückelt und teils übermalt wurden. Diese historischen Uminterpretationen wurden bei einer Restaurierung in den Jahren 1931/36 teilweise wieder entfernt. Die Mitteltafel bewahrt aber bis heute die Hintergrundmalerei mit Architektur und Landschaft des frühen 17. Jh. Das Bildwerk kann nur im Kontext dieser komplexen Uminterpretationen und Restaurierungen verstanden werden.

Weitere Informationen:

  • Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub
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