Erscheinungsdatum: 24.10.2016

Denkmalpflegerische Erfahrungen im Zeichen der Städtepartnerschaft von Pavia und Hildesheim

Denkmalpflegerische Erfahrungen im Zeichen der Städtepartnerschaft von Pavia und Hildesheim

In der altehrwürdigen Basilika von San Michele in Pavia fand am 29. September 2016 eine Fachkonferenz zur Denkmalpflege in Deutschland statt. Die dortigen Kolleginnen und Kollegen wollten Anregungen aus den denkmalpflegerischen Grundsatzüberlegungen und Erfahrungen in deutschen Städten für ihr eigenes denkmalpflegerisches Handeln aufnehmen und gemeinsam über Fallbeispiele diskutieren. Die Konferenz stand unter dem Patrozinium der Europäischen Union, sie wurde vom Freundeskreis San Michele in Kooperation mit der Stadt und der Universität Pavia veranstaltet. Der Promotor der Konferenz war Prof. Vittorio Vaccari, Direktor des Collegio Borromeo, einer traditionsreichen Elite-Einrichtung für besonders begabte Studierende der Universität Pavia. Er ist auch Mitglied des Freundeskreises von San Michele und der Stadt Hildesheim sehr verbunden, nicht zuletzt über die Deutsch-Italienische Gesellschaft in Hildesheim, die enge Kontakte mit Pavia pflegt.

Pavia, das antike Ticinum, gewann gegen Ende des weströmischen Reiches und zurzeit der Ostgoten große Bedeutung. Im Mittelalter war es Krönungsstadt und Residenz von Königen und Kaisern, bis es schließlich unter die Herrschaft der Visconti und dann der Sforza geriet. Die 1361 von Galeazzo Visconti gegründete und von Kaiser Karl IV. bestätigte Universität genießt bis heute einen sehr guten Ruf. Pavia hat sein historisches Stadtbild mit wertvoller mittelalterlicher und neuzeitlicher Bausubstanz zum Großteil bis in die Gegenwart bewahrt. Doch die zahlreichen Kirchenbauten, das Kastell und die Wohntürme, die Palazzi und Wohnhäuser sind teilweise durch ungünstige Umwelteinflüsse, ungeeignete oder fehlende Nutzung und mangelnde Pflege gefährdet. An ein sehr dramatisches Ereignis sei erinnert: Der Stadtturm von Pavia, im 12. Jh. neben der Kathedrale erbaut, stürzte am 17. März 1989 aus bis heute nicht ganz geklärten Gründen ein. Bei dem Unglück starben vier Menschen, zahlreiche wurden verletzt. Seitdem wird kontrovers über den Wiederaufbau des Turmes diskutiert. In Pavia kommen viele Probleme hinzu, die typisch sind für historische Altstädte: Mit ihrer kleinteiligen Struktur an Straßen und Gassen können sie den heutigen Anforderungen des Verkehrs nicht genügen. Sie erfordern neue, umweltfreundliche und denkmalgerechte Konzepte, die auch die Lebensbedingungen für die Bürgerinnen und Bürger in der Altstadt nachhaltig verbessern können. Städtebauliche, denkmalpflegerische und restauratorische Erfahrungen aus anderen europäischen Städten und Ländern können daher aus methodischer und praktischer Sicht hilfreich sein.

Die Fachkonferenz am 29. September mit deutschen Beiträgen bildete den Auftakt für eine europäische Konferenzreihe, die in den kommenden Jahren auch Erfahrungen aus Frankreich, Polen u.a. Ländern präsentieren will. In Anbetracht der langjährigen Städtepartnerschaft zwischen Pavia und Hildesheim setzte das Programm einen Hildesheimer Schwerpunkt. So berichtete Thomas Kulenkampff, Hildesheimer Stadtbaurat im Ruhestand und Honorarprofessor der HAWK, als maßgeblich beteiligter Akteur über den Wiederaufbau des Marktplatzes in Hildesheim und über die Rekonstruktion des Knochenhaueramtshauses. Das Auditorium in Pavia interessierte sich für historische, handwerkliche und gestalterische Fragen der Rekonstruktion und in besonderem Maße auch für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an einem solchen denkmalpflegerischen Großprojekt. Die Identifikation mit der Geschichte der eigenen Stadt und das bürgerliche Engagement dafür, sie lebendig zu bewahren bzw. wieder erlebbar zu machen, ist ein Anliegen, das Pavia und Hildesheim vereint. Der Wiederaufbau kriegszerstörter deutscher Städte war das Thema des Beitrags von Matthias Quast, der als Kunsthistoriker seit Jahrzehnten in Italien und Deutschland tätig ist und somit mit beiden Kulturkreisen bestens vertraut. Auf nachdenkliche und anregende Weise vermittelte er vor allem am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main die vielschichtigen städtebaulichen, architektonischen, denkmalpflegerischen und letztendlich gesellschaftlichen Probleme, die mit dem Wiederaufbau verbunden waren und ihre Auswirkungen bis heute zeigen. Ursula Schädler-Saub, Professorin an der Fakultät Bauen und Erhalten der HAWK, berichtete zunächst über die gesetzlichen Grundlagen der Denkmalpflege in den deutschen Bundesländern und über die Kooperationen zwischen staatlicher und kirchlicher Denkmalpflege sowie Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und privaten Initiativen, die sich für die Denkmalpflege und Restaurierung engagieren. Anhand repräsentativer Beispiele stellte sie dar, welche Probleme und Herausforderungen es in der praktischen Denkmalpflege in Deutschland gibt und was die Restaurierungswissenschaft hier leisten kann. Das Publikum interessierte sich besonders für die Restaurierung von St. Michael in Hildesheim und für das Projekt zur Erforschung und Erhaltung des Kreuzganges von St. Michael, an dem die HAWK maßgeblich beteiligt war.

San Michele in Pavia, der Tagungsort der Konferenz, verdient an dieser Stelle besondere Beachtung: Der nach 1117 erbaute und 1155 geweihte Kirchenbau mit seiner reichen Ausstattung ist in jedem Handbuch der Architekturgeschichte als prominentes Beispiel eines romanischen Sakralbaus vertreten. Trotz verschiedener Restaurierungskampagnen im 19. und 20. Jh. ist der Erhaltungszustand des Außenbaus und seiner qualitätvollen Bauplastik teils besorgniserregend. Dies liegt an dem relativ weichen Sandsteinmaterial, das für den Bau und die Bauplastik verwendet wurde und heute durch die Bewitterung, aber auch durch ungeeignete Restaurierungsmaßnahmen der Vergangenheit zahlreiche Schäden aufweist. Der Freundeskreis von San Michele, der sich seit langem für die fachgerechte Erhaltung des bedeutenden Kulturdenkmals einsetzt, verdient hier fachliche Unterstützung.

Am Rande der Tagung wurde mit den Vertretern der Universität Pavia und dem Collegio Borromeo vereinbart, die Gespräche zu der schon lange geplanten Kooperation mit der Fakultät Bauen und Erhalten der HAWK in Hildesheim wieder aufzunehmen, um einen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden im Rahmen des ERASMUS-Programmes zu ermöglichen und damit vielleicht auch gemeinsame Projekte der Denkmalpflege und der Restaurierung auf den Weg zu bringen.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub

HAWK Hochschule, Fakultät Bauen und Erhalten HAWK Hochschule, Fakultät Bauen und Erhalten