Erscheinungsdatum: 01.09.2016

HAWK-Studenten bauen ein energieautarkes Haus in den peruanischen Anden

HAWK-Studenten bauen ein energieautarkes Haus in den peruanischen Anden

Dass eine fruchtbare Verbindung von deutscher und südamerikanische Architektur in Sachen Wärmedämmung oder Wärmeschutz in verhältnismäßig kurzer Zeit machbar und auch bezahlbar ist, haben jetzt Studierende der Göttinger HAWK Fakultät Ressourcenmanagement und der Hildesheimer HAWK-Fakultät Bauen und Erhalten unter Beweis gestellt. Im Rahmen einer Kooperation mit der zentralperuanischen Universität Tarma haben acht HAWK-Masterstudenten das „Casa ecologica“, den Prototyp eines energieautarken Hauses mit kompletter energetischer Selbstversorgung, geplant und gebaut. Mit Baumaterialien, die auch vor Ort einigermaßen erschwinglich zu beschaffen sind.

Vor kurzem war Richtfest für das einer fünfköpfigen Familie Platz bietende Haus. Wenn der Holzrahmenbau in Ständerbauweise voraussichtlich Ende September komplett fertig ist, wird er seine gesamte energetische Grundversorgung und die Wärme für Heizung und Wasser durch photovoltaische und solarthermische Anlagen selbst erzeugen und mit mehr als 40 Zentimeter dicken, aus Lehmziegeln, Spanplatten und heimischem Ichugras gefüllten Wänden ausgestattet sein. Ein Wärmeschutz, der Spitzendämmwerte erreicht. „Das Haus wäre auch für Deutschland ein guter Qualitätsstandard“, bestätigt Florian Faß, einer der HAWK-Studenten. Jeder hatte bei dem Projekt eine spezielle Aufgabe und damit auch eine eigene Verantwortlichkeit. Faß etwa hat im Rahmen seiner Masterarbeit ein innovatives System für die Solarthermie entwickelt, welches eine Pumpensteuerung für die Versorgung und die Elektrizität für die Beleuchtung integriert.

Andere, wie beispielsweise der Masterstudent für Nachwachsende Rohstoffe und Erneuerbare Energien, Nils Hagenhuth, waren für die konstruktiven Teile oder die Doppelverglasung der Fenster zuständig, eine in Peru völlig unbekannte Bauweise. Entsprechende Silikatverrohrungen zur Aufnahme des Kondensationswassers, wie sie hierzulande zum technischen Standard gehören, konnte der gelernte Schreiner Hagenhuth in Peru nicht finden, also war wie auch in vielen anderen Fällen Improvisationstalent gefragt. Am Ende half ein gut abdichtendes Isolierband, das zwar nicht ganz so effektiv, vor Ort aber zu haben ist. Wichtig bei all diesen Prozessen aber war vor allem auch, dass die örtlichen Handwerker gleich in den Produktionsprozess mit einbezogen wurden und so die Herstellung wesentlicher Teile beherrschen lernten.

Was aber trieb die HAWK-Studenten ausgerechnet in den Andenstaat und warum gerade nach Tarma?

Schon seit längerem bestanden vonseiten der HAWK nach Peru gute Kontakte durch Hochschulabkommen. „Wir haben seit 2011 einen Kooperationsvertrag mit der Universität in Chachapoyas im Norden Perus“, erklärt Professor Dr. Martin Thren von der Göttinger Fakultät Ressourcenmanagement. Seitdem konnten einige gemeinsame Zielstellungen gesetzt und auch realisiert werden. Zuletzt hatten Göttinger Studenten im Rahmen eines landwirtschaftlichen Pilotprojektes an der Errichtung einer Versuchsstation mitgearbeitet, indem sie über den Einbau von Solarzellen und Solarthermik sowie die Installation eines Windgenerators zumindest einen Großteil des Energiebedarfs über Erneuerbare Energien abdeckten. Dabei standen dort in der nördlichen Zentralkordillere nicht allein ökologische Überlegungen im Vordergrund, sondern auch die Notwendigkeit, überhaupt eine dauerhaft gesicherte dezentrale Energieversorgung sicher zu stellen.

Ein wesentliches Kriterium, das ebenfalls im 1.200 Kilometer weiter südlich liegenden Tarma eine entscheidende Rolle spielen sollte. Als nämlich der Vizerektor und spätere Dekan für Agraringenieurwesen von Chachapoyas zum Gründungsrektor von Tarmas Universität berufen wurde, erinnerte er sich an das erfolgreiche Projekt und hielt den Kontakt mit den Göttingern aufrecht. Im unwegsamen Andengebiet, sechs Stunden östlich von Lima entfernt, ergaben sich allerdings ganz neue Anforderungen, die neben der Selbstversorgung durch Erneuerbare Energien auch die deutschen Passivhausstandards nötig und sinnvoll werden ließen.

Im Vergleich zu Deutschland herrscht in hochandinen Regionen, wie in der Umgebung der Landeshauptstadt Tarma, ein Tageszeiten-Klima. Das bedeutet: Nicht die Jahreszeiten machen den hier lebenden Menschen zu schaffen, sondern die starken Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Und je höher der Ort liegt, desto extremer werden die Unterschiede. Während tagsüber Temperaturen von 20 Grad erreicht werden, sinkt das Thermometer nachts weit unter null. Ein unwirtliches Klima mit gesundheitsschädlichen Folgen. „Sehr viele Menschen haben Lungenkrankheiten und Arthritis, weil es immer feucht und kalt ist“, beschreibt Martin Thren die Situation. „Hinzu kommt vielfach der ätzende Rauch der Kochstellen, der nicht über Schornsteine, sondern durch offene Fenster abgeführt wird.“ Grund genug also, solche Extreme über eine entsprechende Hausplanung und Dämmungsmaßnahmen abzufangen. Doch die kennt man auf den abgelegenen Einzelgehöften der Anden genauso wenig wie eine permanente Grundversorgung mit Energie. Das von den HAWK-Studenten mit Fertigbaumodulen konstruierte Wohnhaus soll als Vorzeigeprojekt für die dortige Universität neue Maßstäbe setzen, zur Nachahmung anregen und der massiven Landflucht in Peru entgegenwirken.

Im September 2015 schlossen deshalb beide Hochschulen einen eigenen Kooperationsvertrag, anschließend wurde ein Grundstück gesucht und am Ende von der Gemeinde zur Verfügung gestellt. „Das waren alles sehr schnelle Entscheidungen“, erinnert sich Martin Thren, noch zusammen mit der Unterzeichnung des gemeinsamen Kooperationsvertrages habe man auch das Projekt konkret beschlossen und verkündet, vor dem festgelegten Baubeginn Mitte Februar diesen Jahres wurde dann noch im Wintersemester 2015/16 entsprechende interdisziplinäre Blockseminare für Ressourcenmanager, Architekten und Bauingenieure ins Leben gerufen, moderiert durch die Professoren Alfred Breukelman (von der Fakultät Bauen und Erhalten am HAWK-Standort Hildesheim) und Thren (von der Fakultät Ressourcenmanagement am HAWK-Standort Göttingen), um das Hauskonzept in Deutschland noch vor der Abreise abzuschließen.

Für die Universität Tarma schließlich ist das wohl Ende September 2016 endgültig fertige Haus ein wichtiger Meilenstein, um mit der ersten praktischen Umsetzung eines auch vor Ort realisierbaren energieautarken Standards mit Energiemodulen zur Selbstversorgung einen entscheidenden Beitrag zur Strukturentwicklung des ländlichen Raumes zu leisten. Man erreiche damit zwei Ziele, hofft Martin Thren, die in Gründung befindliche Universität zu unterstützen, die sich über solche Projekte entscheidend legitimeren könne. Anderseits und nicht zuletzt aber könne das Haus als richtungsweisendes Modell dienen. „Was wir jetzt geschaffen haben, ist ein deutscher Mercedes Benz“, verkündete der Direktor von Tarmas Universität über Skype während des Richtfestes. Die Universität Tarma müsse nun daraus zusammen mit der Bevölkerung einen „Volkswagen“ entwickeln.

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