Erscheinungsdatum: 22.10.2015

HAWK-Studierende können Vertiefung zur Stabilisierung von Kindern mit sexuellen Missbrauchserfahrungen wählen  

HAWK-Studierende können Vertiefung zur Stabilisierung von Kindern mit sexuellen Missbrauchserfahrungen wählen 

Missbrauchsskandale wie der an der Odenwaldschule oder dem Berliner Canisius-Kolleg in den vergangenen Jahren haben öffentliche Debatten entfacht, die sowohl Politik als auch Hochschulen für das Thema besonders sensibilisiert haben. Eine Forderung aus der Politik lautete, dass pädagogischem Fachpersonal mehr Handlungssicherheit im Umgang mit Kindern mit Missbrauchserfahrungen und auch bei der Aufdeckung von Missbrauchsfällen vermittelt werden muss. Genau das wird nun an der HAWK realisiert: Studierende der Sozialen Arbeit sowie Bildung und Erziehung im Kindesalter an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit können im Rahmen ihres Studienganges ein mehrsemestriges Curriculum durchlaufen, in dem neben Fachkompetenzen auch Methoden für die Arbeit mit betroffenen Kindern und Techniken zur Selbstfürsorge gelehrt werden.

„Das Thema sexueller Missbrauch löst häufig bei pädagogischen Fachkräften einen großen Schrecken aus“, weiß Prof. Dr. Anna Wittmann aus eigener Praxiserfahrung. „Wenn sie erfahren, dass ein Kind sexuell missbraucht wurde, stellt sich oft eine große Angst ein, etwas falsch zu machen. Sie sollten dann jedoch nicht die Hilflosigkeit des Kindes teilen, sondern jemand sein, die oder der zu helfen weiß und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung hat“, so Wittmann.

In einem mehr als vierjährigen Forschungsprojekt zum Thema „Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren“ (KiMsta) wurden die Grundlagen für dieses Curriculum geschaffen. Wittmann und ihr Team gingen der Frage nach, was zukünftige pädagogische Fachkräfte lernen müssen, um kompetente Ansprechpartner/innen zu werden und wie die relevanten Kompetenzen didaktisch am besten vermittelt werden können. Von 2010 bis 2014 wurde auf der Basis der Ergebnisse dreier aufeinander aufbauender Studien, in denen unter anderem Interviews mit Expert/inn/en und schriftliche Befragungen von über 700 pädagogischen Fachkräften aus Kindertagesstätten und Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen durchgeführt wurden, ein Aus- und Weiterbildungscurriculum entwickelt. „Ein von sexuellem Missbrauch betroffenes Kind braucht nicht nur therapeutische Hilfe, die ihm für eine Stunde die Woche zuteil wird, sondern auch in seinem gesamten Alltag pädagogische Unterstützung“, erklärt Wittmann den Ansatz des Curriculums.

20 Studierende hatten im Sommersemester 2015 an der HAWK die Möglichkeit, in das Curriculum einzumünden. Zum anstehenden Wintersemester 2015/2016 sind die nächsten 20 Plätze bereits wieder belegt. Das Curriculum umfasst sechs Lehrveranstaltungen, die im Laufe des grundständigen Studiums besucht werden. „Die Studierenden nehmen das Qualifizierungsangebot dankbar an, denn es ist ihnen bewusst, dass dies für die Praxis ein höchst relevantes Thema ist und es auch sehr wahrscheinlich sein wird, dass sie in ihrem späteren Berufsalltag mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben werden, die sexuellen Missbrauch erlebt haben oder aktuell noch erleben“, sagt Wittmann.

Da das Thema den Teilnehmenden auch emotional und persönlich viel abverlange, hätten sich viele ihre Wahl gut überlegt. Im Seminar „Sexueller Missbrauch: Hinsehen, handeln, helfen“, das eine Lehrveranstaltung innerhalb des Curriculums darstellt, lernen die Teilnehmer/innen zum Beispiel, wie Täter/innen-Strategien aussehen und welche Folgen sexueller Missbrauch für Betroffene haben kann. In konkreten Fallbeispielen erfahren sie mehr über mögliche Missbrauchsszenarien und wo die schwierig zu erkennenden Grenzen bei sexuellem Missbrauch liegen. Nicht zuletzt werden zahlreiche Methoden erprobt, mit deren Hilfe Kinder gestärkt und stabilisiert werden können, beispielsweise Imaginationsübungen aus der Traumapädagogik.

Prof. Dr. Wittmann freut sich, dass die Ergebnisse des vorangegangenen Forschungsprojekts nun durch die Verankerung des Themas in der Lehre und Weiterbildung in die Praxis einfließen: „Wir haben viel mehr Anmeldungen als Plätze. Was zeigt, dass nicht nur wir das Thema wichtig finden, sondern auch die Studierenden großes Interesse an den Seminaren haben.“

Viele der Studierenden der „ersten Generation“ des Curriculums sind bereits im Vorfeld durch Praktika oder Ausbildung sensibilisiert worden. Annika, Studentin der Sozialen Arbeit, erzählt, dass sie in ihrer Ausbildung zur Erzieherin bei einem Kindergarten-Praktikum mit dem Thema in Berührung kam: „Ich habe damals nicht so richtig gewusst, wie ich damit umgehen soll. Und die Erzieherinnen hatten mich auch nicht dazu angelernt. Aus dem Grund finde ich es wichtig, dass das Thema im Studium behandelt wird.“

Innerhalb des Curriculums, das sich an Studierende wendet, lehren neben Frau Prof. Dr. Wittmann vier weitere Kolleg/inn/en der Fakultät. Außerdem wird über die HAWK eine viertägige Weiterbildung für bereits in der Praxis tätige pädagogische Fachkräfte aus Kitas und Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen angeboten; der erste Durchlauf war im Herbst 2014, der zweite im Frühling dieses Jahres. Für das ergänzende Selbststudium ist aktuell im Reinhardt-Verlag das Buch „Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren“ erschienen.

Informationen zur Weiterbildung
Prof. Dr. Anna Wittmann

Mit praktischen Methoden und Fallarbeit nähern sich Studierende dem Thema Kindesmissbrauch und Mit praktischen Methoden und Fallarbeit nähern sich Studierende dem Thema Kindesmissbrauch und