Hornemann Institut ermöglicht neuen Blick auf St.Godehard
Die Kirche zählt zu den interessantesten Gotteshäusern des 12. Jahrhunderts und ist mitsamt ihrer Ausstattung außergewöhnlich gut erhalten. Nur neun Monate nach der Tagung veröffentlicht das Hornemann Institut nun die ausgearbeiteten Beiträge aus Kunstgeschichte, Geschichte, Denkmalpflege und Restaurierung in einem 448 seitigen, mit 349 großteils farbigen Abbildungen, Tabellen und Diagrammen reich bebilderten Band.
Die insgesamt 24 Beiträge geben faszinierende Einblicke in Kirche, Kloster und Ausstattung und ihre kulturhistorische Bedeutung für die Region und weit darüber hinaus. Dabei stehen fünf Epochen der Geschichte im Vordergrund, wobei - dem 850-jährigen Geburtstag folgend – ein Hauptschwerpunkt auf dem Konvent und dem Bau der Kirche im 12. Jahrhundert liegt.
Zum Inhalt des Buches
Das Kloster im 12. und 13. Jahrhundert
Prof. Dr. Martina Giese von der Universität Würzburg untersucht erstmalig den Konvent in den ersten beiden Jahrhunderten hinsichtlich Kopfstärke und personeller Zusammensetzung. Die umfangreichen Gebetsverbrüderungen des Konvents zeigen ein weiträumiges geistliches Netzwerk über die Hildesheimer Diözese hinaus. Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck von der Universität Bonn thematisiert die Buchkultur und Wissenslandschaft in Hildesheim. Insbesondere die Darstellung der Wurzel Jesse in einem Evangeliar aus der Klosterbibliothek erlaubt Einblicke in das Denken der Hildesheimer Kleriker bis in das 13. Jahrhundert hinein. Zu den Hauptwerken der Schatzkunst aus dem Godehardikloster gehört der von Abt Thidericus gestiftete Tragaltar, der sich heute im British Museum in London befindet. Dr. Gerhard Lutz (Cleveland Museum of Art) rekonstruiert die wechselvolle Reise des Objekts von Hildesheim nach London seit der Auflösung des Klosters während der Säkularisation und ordnet das Werk in die Hildesheimer Kunst um 1200 ein. Dr. Bernhard Gallistl (Hildesheim) macht deutlich, dass das verloren gegangene Büstenreliquiar des heiligen Godehards maßgeblicher Sakralgegenstand im Kloster war. Es hatte seinen Platz auf dem Hochaltar im östlichen Chorraum. Der Gründungsbau von St. Godehard gehört zu den ungewöhnlichsten Sakralbauten des 12. Jahrhunderts. Dr. Ulrich Knapp (Leonberg) analysiert die Kirche auf ihren Bestand aus dem 12. Jahrhundert und kann manche Fehldeutung aufdecken. Der Bau folgt einerseits in seiner Gestalt anderen Klosterbauten der Zeit, hier zum Beispiel von Thüringen (Paulinzella) bis nach Sachsen-Anhalt (Hamersleben). Andererseits weist St. Godehard einen Umgangschor mit Kapellen auf, wie er aus der zeitgenössischen Architektur in Frankreich bekannt ist. Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier von der Bauhaus-Universität Weimar, stellt dar, inwiefern der Chorumgang in lokaler Hildesheimer Tradition steht und fragt nach dem konkreten Vorbild für seine bemerkenswerten drei Radialkapellen.
Dr. Kristina Krüger rekonstruiert erstmalig die ehemalige Gestalt und Funktion des mittelalterlichen Westbaus. Prof. Dr. Matthias Untermann (beide Universität Heidelberg) untersucht das Langhaus hinsichtlich der Frage, ob es im 12. Jahrhundert überhaupt eine „reformbenediktinische“ Architektur gab. Dabei bricht er mit dem bisherigen Forschungsstand, denn er sieht in den flachgedeckten Basiliken damaliger Klöster eine edle Architekturform, die mit der Nutzung nicht erklärbar ist. Anhand der qualitätsvollen Langhauskapitelle thematisiert Dr. Christian Forster (Leipzig), wie schnell der Gründungsbau der Klosterkirche voranschritt und ab wann in der Bauplastik neue Entwicklungen greifbar sind: Gingen von der Hildesheimer Godehardikirche maßgebliche künstlerischen Veränderungen im 12. Jahrhundert aus?
Neuer Forschungsfokus auf das 15. bis 20. Jahrhundert
Die weitere Bau- und Ausstattungsgeschichte von St. Godehard vom 15. bis ins 20. Jahrhundert war bislang in weiten Teilen unbearbeitet und wird im Buch nun erstmals umfassender vorgestellt. Das ehemalige Hochaltarretabel der Godehardikirche aus dem frühen 15. Jahrhundert soll sich heute in der evangelischen Stadtkirche in Gronau, etwa 20 Kilometer südwestlich von Hildesheim, befinden. Dr. Felix Prinz (Dommueseum Hildesheim) geht auf Spurensuche. Dr. Stefan Bartilla (Prag) rekonstruiert aufgrund der Klosterchronik von 1500 ein bislang einmaliges Bildprogramm im Festsaal des Klosters.
Besondere Bedeutung erlangte St. Godehard in der Zeit der sogenannten Bursfelder Reform ab 1466. Den Weg dorthin zeichnet Prof. Dr. Thomas Vogtherr von der Universität Osnabrück nach und analysiert das Wirken der Godehard-Äbte in der Bursfelder Kongregation. Noch im Jahr der Einführung gab der neue Abt Lippold (1465-1473) ein Chorgestühl in Auftrag, von dem sich bedeutende Reste erhalten haben. Anja Seliger bietet erstmals einen Rekonstruktionsvorschlag und ordnet es stilistisch in die Kunstproduktion der Region ein.
Zu den bekanntesten Werken der vorreformatorischen Ausstattung zählen ferner die Holzbildwerke des Benediktsretabels im südlichen Querhaus, dessen Aufbau aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert stammt. Davon ausgehend zieht Dr. Markus Hörsch (Leipzig/Bamberg) eine kritische Bilanz über den Meister sowie seinen Hildesheimer Umkreis und diskutiert deren Bezüge zur damaligen Kunst.
Dr. Monika Suchan (Dombibliothek Hildesheim) widmet sich der Bibliothek des Godehardiklosters im 15. und 16. Jahrhundert und der Ausgestaltung des Bibliotheksraums. Dabei zeigt sich, wie der heilige Godehard, der selbst der monastischen Reform verpflichtet war, noch den Mönchen des 15. Jahrhunderts als Vorbild diente.
Prof. Dr. Dr. Jörg Bölling von der Universität Hildesheim erläutert den Stellenwert Godehards als Bischof, Heiliger und Klosterpatron zur Barockzeit am Beispiel einer bisher wenig beachteten Vita des Heiligen. Dr. Christian Scholl gelingt auf der Basis einer umfassenden Untersuchung des erhaltenen Bestandes sowie der Schrift- und Bildquellen eine plausible Rekonstruktion der barocken Kirchenausstattung. Dr. Christian Schuffels (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Dresden) beschäftigt sich mit der Ikonographie von Patron und Stifter in der barocken Ausstattung von Kirche und Kloster. Er geht aus von der Grabstätte Bischof Bernhards I. im Chor, für die 1745 eine neue Grabplatte geschaffen wurde.
Im 19. Jahrhundert wurde der Bau in historistischen Formen grundlegend umgestaltet. Dr. Christian Scholl (Universität Hildesheim) entwickelt eine Würdigung dieser Ausstattungskampagne im Kontext der historisierenden Kunstströmungen des 19. Jahrhunderts. Stefanie Lindemeier (Hannover), die an der HAWK Restaurierung studierte, stellt die Restaurierung des am reich inkrustierten Gipsestrichfußboden im Chor vor, einer seltenen, auf das Mittelalter zurückgehenden Schmucktechnik. Dr. Ursula Schädler-Saub (HAWK, Hildesheim), ehemalige ordentliche Professorin der HAWK, macht die bis heute irritierenden denkmalpflegerischen Maßnahmen der 1960er Jahre anhand vieler neu hinzugezogener Schriftquellen nachvollziehbar und ordnet sie in die bundesdeutsche Denkmalpflege ein.
Aber die Kirche war von Anfang an kein Solitärbau. Dr. Angela Weyer, die Leiterin des Hornemann Instituts der HAWK in Hildesheim, gibt einen Überblick über die mittelalterliche Klosteranlage sowie der als Pfarrkirche dienenden Nicolaikirche. Abschließend zeichnet Dr. Christian Schuffels die Baugeschichte des Pforthauses und der angrenzenden Wirtschaftsbauten nach.
Das Hornemann Institut für die Region
Das Hornemann Institut, vor 25 Jahren zur EXPO 2000 für den internationalen Wissenstransfer im Bereich der Kulturguterhaltung in Hildesheim gegründet, hat sich wiederholt ins Kulturleben der Region eingebracht: Ob im Rahmen des Hildesheimer Themenjahres 2011 „leben lernen lernen leben“, des landeskirchlichen Festprogramms „Gottes Engel weichen nie. St. Michael 2010“, des Stadt- und Bistumsjubiläums 2014/15 oder bei der Bewerbung Hildesheims zur Kulturhauptstadt 2025: Das Hornemann Institut war immer aktiv dabei. Die Vermittlung neuer Forschungen zu Hildesheimer Baudenkmäler erfolgte durch Ausstellungen und Veranstaltungen und auch immer wieder durch exquisit bebilderte Bücher. So erschienen bislang in seiner Schriftenreihe, Forschungen u.a. zum Kaiserhaus, zu St. Michaelis und zu seinem Kreuzgang sowie zum Rathaus.
Dieser inhaltsreiche und bildlich imposante Tagungsband zu St. Godehard erscheint nun als 23. Buch der Schriftenreihe mit dem Titel: 850 Jahre St. Godehard Hildesheim. Kirche – Kloster- Ausstattung. Er ist von Dr. Gerhard Lutz, ehem. stv. Leiter des Dommuseums Hildesheim und Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Instituts der HAWK redigiert und herausgegeben worden und kann für 49,95 Euro beim Institut erworben werden.
Der Druck des Buches ist aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab und dem Bistum Hildesheim finanziell gefördert. Er wird zur Nachhaltigkeit des Jubiläums von Bischof Godehard und zur Verbreitung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse beitragen und hoffentlich viele neue Besuchsströme nach Hildesheim und in die Godehardikirche locken.