Allen, die mit diesem Thema betraut sind, war immer bewusst: Wenn jeder nur sein Feld beackert, kommen wir nur schlecht voran. Nun haben sich vier Institutionen zusammengetan, um ihre Kompetenzen zu bündeln und gehen gemeinsam vor gegen ein Phänomen, das auch unsere aufgeklärte Gesellschaft gerne schamhaft verbirgt: Häusliche Gewalt!
Davon betroffen sind meist Frauen (mehr als 80 Prozent), was auch ein Schlaglicht auf den immer noch vorherrschenden Geschlechterproporz wirft.

Deshalb lautete der Titel der Veranstaltung: „Im Blick – Beziehungsgewalt gegen Frauen“.

 

Eingeladen dazu hatten die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Sigrun Brünig, Anita Hummel von der Beratungsstelle für Frauen und Mädchen durch Mobbing, Stalking, Bedrohung und Gewalt (BEFEM), Werner Friedrich von der Opferhilfsorganisation Weisser Ring sowie Silke Clerc von der Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt (BISS).

Moderiert hatten Sigrun Brünig und Kristin Escher, Gleichstellungsbeauftragte vom Gastgeber HAWK, der einen Hörsaal und den Lichthof zur Verfügung stellte, und das nicht aus reiner Freundlichkeit. In der HAWK werden seit 20 Jahren Studiengänge zur Sozialen Arbeit angeboten, darin wird auch dieses Thema nicht ausgespart. Dekan Matthias Weppler sprach in seinem Video-Grußwort dann auch Klartext. In Deutschland fordere häusliche Gewalt jedes Jahr etwa 120 Todesopfer und sei eben nicht auf soziale Brennpunkte in Großstädten beschränkt, auch das beschauliche Weserbergland sei davon nicht ausgenommen.

Genau das ist das Fachgebiet von Silke Clerc, Ex-Studentin der HAWK, die ihre Bachelor-Arbeit diesem Thema gewidmet hat, die sie in groben Zügen vorstellte. Gewalt sei vielschichtig, stellte sie fest, außer körperlichen Angriffen können auch Bedrohungen und psychischer Druck verletzen, sowie sexualisierte Gewalt, von unerwünschten Berührungen bis hin zu Vergewaltigung oder Zwang zu Prostitution. Ziel von Gewalt sei immer, die Kontrolle und Macht über die Frau zu behalten, auch durch finanzielle oder emotionelle Abhängigkeit.

Im ländlichen Raum sei das Phänomen jedoch anders geprägt, hier wirken andere soziale Muster, traditionelle Werte werden gepflegt, das alte Rollenbild vom Mann als Ernährer und Bestimmer wirke hier noch stärker. Oft fügten sich Frauen diesem Rollenbild. Mangelnde Anonymität erhöhe den sozialen Druck; nach außen hin werde gerne die heile Familie gezeigt. Das erschwere eine Befreiung der Frauen aus diesem Muster.

Wie hartnäckig sich diese Muster halten, zeigte Clerc anhand von Daten: 1958 erfolgte die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. In den siebziger Jahren brachte die Frauenbewegung etwas Schwung in die Sache und doch sei das Thema bis heute nicht vollständig im kollektiven Bewusstsein angekommen. Immerhin: Heute werde häusliche Gewalt nicht mehr als Privatsache angesehen, sondern als gesellschaftliches Phänomen. Doch Wegschauen ist noch immer weit verbreitet, weil der Täter im selben Verein oder ein Arbeitskollege ist, mit dem man sein Bier trinkt. Auch mangelhafte oder schlecht erreichbare Hilfsangebote erschweren betroffenen Frauen einen Ausweg. So sei die Gewalt gegen Frauen auf dem Land insgesamt zwar geringer, doch die Dunkelziffer mangels Erfassung auch höher. Aber Silke Clerc zeigte auch Lösungsmöglichkeiten auf: Eine bessere Abstimmung und mehr Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen; Schulung und Weiterbildung der Fachkräfte; den Zugang zur Hilfe erleichtern; die Hilfe individuell gestalten; und vor allem – die Täter zur Verantwortung ziehen!

Als Beraterin beim BISS kämpft Silke Clerk heute gegen die Missstände an. Leider nur eine 20-Stunden-Stelle, wie Werner Friedrich vom Weissen Ring in der anschließenden Podiumsdiskussion beklagte, das reiche nicht, um dauerhaft wirkungsvoll zu helfen. Auch Sigrun Brünig sieht noch Luft nach oben.

Einrichtungen wie BISS und Befem werden getragen vom Kinderschutzbund e. V. und von Stadt, Land und Kreis finanziell unterstützt. Sie haben aber nur Projekt-Status, das heißt, jedes Jahr muss von neuem um das Weiterbestehen und um Geld gerungen werden. Das belaste natürlich auch die Beraterinnen. Friedrich verwies ferner noch auf die Schäden, die vor allem betroffene Kinder durch häusliche Gewalt erleiden und zwar langfristig: „Der Täter sitzt seine Strafe ab, aber die Opfer haben immer lebenslänglich!“ Anita Hummel (Befem) weiß aus ihrem Beratungsalltag, wie schwer es ist, den Teufelskreis aus Gewalt und Schweigen zu durchbrechen: „Da ist die Angst, durch Anzeige oder einfach durch Inanspruchnahme von Hilfe den Mann zu reizen und die Gewalt dadurch noch zu steigern“, und zitiert einen oft gehörten Satz von betroffenen Frauen: „Ich möchte einfach nur meine Ruhe haben!“ Dieser Rückzug in die Defensive ermöglicht es vielen Tätern, ihrer Verantwortung zu entkommen.

Sicherheit für die Opfer zu gewähren, sei ihre erste Priorität, so Hummel. Leider gab es bei der Errichtung eines Frauenhauses in Holzminden baubedingt immer wieder Verzögerungen. Wulf Kasperzik, der Landrat Schünemann vertrat, versprach jedoch: „Das Frauenhaus muss kommen und es wird auch kommen, trotz aller Schwierigkeiten!“ Doch auch der Ruf nach Prävention wurde laut. Der Vertreter der Polizei Holzminden, Christian Rusniak, zählte die begrenzten polizeilichen Möglichkeiten auf: Öffentlichkeitsarbeit und Vortragsreihen. Werner Friedrich forderte, schon in den Schulen dieses Thema anzusprechen. Kreis-CDU-Chefin Tanya Warnecke verwies dabei auf Stärkungskurse, die in Kindergärten schon angeboten werden.

Dennoch, so das Fazit aller, bliebe noch viel zu tun. Mit dieser gemeinsamen – und sehr gut besuchten Veranstaltung – ist ein weiterer Schritt getan zu noch besserer Zusammenarbeit der helfenden und unterstützenden Einrichtungen.