Toolbox Wandmalerei – Hyperspektrale Untersuchungsmethoden und die Entwicklung einer digitalen Toolbox für die Erforschung und Vermittlung fragmentarischer Wandmalerei
Kaum entzifferbare und nachträglich veränderte Fragmente mittelalterlicher Wandmalerei stellen uns immer wieder vor die Frage: Wie können wir sie für die Wissenschaft und möglichst viele interessierte Menschen erschließen und nachhaltig bewahren? Im Mai 2022 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) einen Projektantrag der HAWK von Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub, Mitantragstellerin Dr. Angela Weyer, zu diesem Thema bewilligt. Die Arbeiten werden am 1. September starten, zusammen mit den beiden Projektpartnern, dem Domstift zu Brandenburg und dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum (BLDAM), im Tandem mit dem Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft der Technischen Universität München (TUM). Viele externe Fachleute und Fachinstitutionen sind in das Projekt involviert, darunter das Fraunhofer IFF in Magdeburg und Cologne Game Lab.
Das Team der HAWK – hier ist die auf digitale Techniken spezialisierte Restauratorin Sabine Krause-Riemer M.A. zu nennen – will in interdisziplinärer Kooperation mit anderen Fachleuten und Institutionen die Möglichkeiten hyperspektraler Untersuchungsmethoden an fragmentarischer mittelalterlicher Wandmalerei und ihre digitale Visualisierung weiter ausbauen. Dabei knüpfen die Forschenden an das Ende Dezember 2021 erfolgreich abgeschlossene, ebenfalls von der DFG geförderte Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub an, das dem Wandmalereizyklus zu den Wissenschaften und den Künsten in der ehemaligen Bibliothek der Brandenburger Domklausur und seiner substantiellen und ideellen Erschließung gewidmet war, im Tandem mit den Kunsthistorikerinnen der Universität Paderborn (Leitung Prof. Dr. Ulrike Heinrichs). Zu nennen ist hier insbesondere die kombinierte Anwendung mehrerer strahlendiagnostischer und bildgebender Verfahren, mit welchen die mit dem bloßen Auge kaum oder gar nicht erkennbaren Bereiche einer Malerei wieder besser sichtbar werden. Die daraus resultierenden, in sog. Bildstapeln gesammelten visuellen Phänomene werden ausgewertet, um dann in interdisziplinärer Zusammenarbeit eine auf den Befunden beruhende formgebende Interpretation zu erhalten (siehe Abbildungen). Diese ermöglicht Rückschlüsse auf Ikonographie, Komposition und stilistische Merkmale.
Exemplarisch wird das Vorgehen hier an einem Beispiel der Wandmalerei in der Domklausur zu Brandenburg erläutert (siehe Abbildung). Bei der Auswertung verschiedener strahlendiagnostischer Bildgebungsverfahren zur Verbesserung der Lesbarkeit fragmentarischer Wandmalerei wurde das hybride Kartierungsprogramm metigo®MAP genutzt. Die auf verschiedenen Ebenen situierten einzelnen Aufnahmen von HSI, MSI, DStretch und Makro können je nach Bedarf aktiviert oder ausgeblendet werden. Dies vereinfacht das Auswerten und Erfassen von sich abhebenden Strukturen („abgrenzbare Phänomene“). Die Spuren von Umriss- und Binnenzeichnungen, von Flächen, deren Silhouetten sich gegen andere Flächen abheben, sind im hier präsentierten Fallbeispiel graphisch als Linien und Flächen erfasst. Die damit erzielten Ergebnisse wurden im interdisziplinären Team diskutiert, verbunden mit einer kritischen Evaluation der Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode. Dabei wurde zwischen gesicherten und interpretativen, auf Analogien begründeten Daten unterschieden; diese sind in der graphischen Darstellung entsprechend gekennzeichnet (siehe Legende).
Das ausgewählte Beispiel zeigt einen Ausschnitt der Tanzszene aus der Darstellung der Theatrica, im oberen Bereich der Nordwand von Joch 9, ehem. Bibliothek im 1. Obergeschoss des Nordflügels der Domklausur zu Brandenburg (Wandmalerei datiert in die 1440er Jahre).
Ein wichtiges Ziel des neuen DFG-Projektes ist es, die hierfür entwickelten, weitgehend nicht invasiven Techniken zu evaluieren und zu verfeinern, außerdem noch praxisnäher und anwendungsfreundlicher zu gestalten. Damit sollen innovative Erkenntnisse über fragmentarische mittelalterliche Wandmalerei auch an weniger berühmten Kulturdenkmalen ermöglicht werden, und dies nicht nur im Rahmen groß angelegter Forschungsprojekte. Zudem sollen wissenschaftlich fundierte Modelle der Vermittlung dieser Ergebnisse an ein breiteres Publikum erarbeitet werden, mittels Augmented Reality und 3D-Simulation, mit einer klaren Unterscheidbarkeit von real vorhandenen Befunden, auf Analogien beruhenden Ergänzungen und „narrativen“ Elementen.
Anhand weiterer Fallbeispiele fragmentarischer Wandmalerei des späten Mittelalters in der ehemaligen Brandenburgischen Bischofsresidenz Burg Ziesar und in der Abtei von Kloster Zinna bei Jüterbog soll die erarbeitete Methodik unter den dort gegebenen, anderen Voraussetzungen (in Bezug auf die historischen Materialien und Techniken, auf frühere Überarbeitungen und den heutigen Erhaltungszustand) erprobt und evaluiert werden. Auf der Grundlage maltechnischer und strahlendiagnostischer Untersuchungen sowie bildgebender Verfahren sind dabei, wie in der Brandenburger Domklausur, wichtige Erkenntnisse zu den komplexen Bildprogrammen und ihrer künstlerischen Umsetzung sowie zur Funktionsgeschichte der ausgemalten Räumlichkeiten zu erwarten.
Eine methodische und technische Optimierung der so entwickelten „digitalen Toolbox“ soll auf der Basis breiter als bisher angelegter naturwissenschaftlicher Untersuchungen erfolgen, mit Einsatz weiterer hochmoderner Geräte und technischer Möglichkeiten, in enger Kooperation mit dem Fraunhofer IFF Magdeburg (Dr. Andreas Herzog) und der TUM. Diese „digitale Toolbox“ ist für den Einsatz bei interdisziplinären Projekten für die Forschung am Kulturerbe konzipiert, unter Integration verschiedener Verfahren und Untersuchungsmethoden. Sie soll in der Fortführung auch für „Low Budget“ Projekte in der Denkmalpflege nutzbar gemacht werden, weil sie mit nicht invasiven Methoden eine zunächst „grobmaschige“ Übersichtsuntersuchung und damit Erkenntnisse ermöglicht, auf deren Grundlage über weiterführende Fragestellungen und eine differenzierte, substanzschonende Arbeitsweise entschieden werden kann.
Titel des DFG-Projektes der HAWK:
„Hyperspektrale Untersuchungsmethoden und die Entwicklung einer digitalen Toolbox für die Erforschung und Vermittlung fragmentarischer Wandmalerei“.
Projektleiterin: Prof. Dr. Dipl. Rest. Ursula Schädler-Saub, Fakultät Bauen und Erhalten; wissenschaftliche Mitarbeiterin der HAWK, Fakultät Bauen und Erhalten: Dipl.-Rest. Sabine Krause-Riemer M.A.; fachlich beteiligt für Aspekte des Wissenstransfers und der Vermittlung: Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Institut der HAWK.
Projektdauer: 3 Jahr.
Titel des DFG-Projektes der TUM (Tandem-Projekt):
„Entwicklung einer Methodik zur zerstörungsfreien Untersuchung von Wandmalereien in situ: Der Palimpsest der Magdalenenkapelle von St. Emmeram, Regensburg“.
Projektleiterin Dr. Clarimma Sessa, Materialkundlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, TUM; Projektgruppe: Prof. Dr. phil. Dott. Thomas Danzl, Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft, TUM School of Engineering and Design; Nadia Thalguter M.A., Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, TUM. Projektdauer: 3 Jahre.