Überschuldung privater Haushalte und Soziale Schuldnerberatung im Fokus

Erscheinungsdatum: 21.11.2023

Auf Initiative von Prof. Dr. Uwe Schwarze und mit Unterstützung der Tutorin Paula Heuer fand an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK am Standort Hildesheim ein internationaler Workshop statt. Das Ziel bestand darin, aktuelle Forschungsergebnisse aus Schweden und Deutschland vor Ort im direkten Austausch der Forschenden mit Fachkräften der Sozialen Schuldnerberatung zu diskutieren, um so gemeinsam Perspektiven für die künftige Praxisforschung in der Sozialen Arbeit zu entwickeln.

In seiner Begrüßung verwies Uwe Schwarze bereits darauf, dass eine stärker makroökonomisch und soziologisch orientiere Ursachenanalysen zum Verständnis privater Überschuldung erforderlich ist, um vorschnelle individualisierende und „schuldzuschreibende“ Ansätze in der sozialen Beratung zu vermeiden.  Aktuell gelten in beiden Wohlfahrtsstaaten – je nach Daten oder Quelle – mindestens 6 bis 10 Prozent der Erwachsenen als „überschuldet“. Damit verbunden sind oft Zahlungsprobleme über längere Zeit und Wege aus der „Schuldenfalle“ erfordern oft ein mehrjähriges „Leben am Existenzminium“. Was dies für die betroffenen Menschen genau bedeutet, war unter anderem Thema des Workshops.

Ergebnisse aus Schweden

Im Rahmen der Erasmus-Kooperation mit der „Mälardalens University“ in Eskilstuna/Schweden besuchten Prof. Christian Kullberg, Dr. Pernilla Liedgren und Dr. Julia Callegari die HAWK. Sie stellten aktuelle Ergebnisse aus ihrer Forschung zur privaten Überschuldung und zur „Budget- und Schuldenberatung“ in Schweden vor. Genauer ging es in ihren Beiträgen um die Frage der Zugänge und Nutzung der kommunalen Beratungsdienste und des behördlichen fünfjährigen Schuldensanierungsverfahrens.

 

Auch das in Deutschland nur dreijährige Verfahren nehmen – wie in Schweden – längst nicht alle in Anspruch, die darüber eine Schuldenregulierung erreichen könnten. Viele überschuldete Menschen nutzen auch die Beratungsangebote nicht. Dabei sei das Verständnis von „Beratung“ in Schweden bisher fachlich noch ungeklärt. Auch die Dimension der „Nachhaltigkeit“ spiele im Fachdiskurs kaum eine Rolle, so Christian Kullberg und seine zwei Kolleginnen.

Forschungsergebnisse zur "Nachhaltigkeit"

In der Perspektive auf „Nachhaltigkeit“ berichteten Prof. Dr. Kerstin Herzog von der Hochschule RheinMain in Wiesbaden und Dr. Sally Peters vom Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) in Hamburg aus ihrem gemeinsamen Forschungsprojekt, das qualitativ das Verständnis und die Praxis einer „nachhaltigen sozialen Schuldenberatung“ in Deutschland genauer untersucht. Das Ergebnis verdeutlichte, dass die differenzierte Ausrichtung der Beratungsangebote an die Adressat*innen und das Erfordernis, nicht „moralisierend“ und vor allem nicht mit „Schuldzuschreibungen“ zu beraten, sowie eine gemeinsame trägerübergreifende fachpolitische Strategie zur Verbesserung der Hilfen aktuell besondere Herausforderungen für Fachpraxis und Wissenschaft bilden.

Situation in Niedersachsen

Prof. Dr. Uwe Schwarze und Vanessa Fleckenstein von der HAWK in Hildesheim zeigten mit Daten aus dem Jahr 2018 die extrem heterogene und in keiner Weise an Standards orientierte Struktur der Beratungsangebote für überschuldete Menschen am Beispiel von Niedersachsen auf. Derzeit gibt es in Niedersachsen über 200 Stellen, die sich „Schuldnerberatung“ nennen, jedoch in der Trägerschaft, Finanzierung und in den fachlichen Standards sehr große Unterschiede erkennen lassen. Den Kolleg*innen aus Schweden erschien das deutsche Beratungsangebot als eine Art „Dschungel“, in dem sich die hilfesuchenden überschuldeten Menschen nur schwer orientieren könnten. Ziel des aktuell laufenden Projekts an der HAWK ist es, die Daten aus dem Jahr 2018 mit neueren Daten aus dem Jahr 2023 zu vergleichen, um so den Wandel in der Struktur des Hilfeangebotes über einen Zeitraum von 5 Jahren näher abbilden zu können. Vor allem die Frage gerechter, niederschwelliger kostenfreier Zugänge und die Frage möglicher Wartezeiten stehen dabei im Zentrum der Analysen.

Genau diese Punkte bestätigten sich auch aus Perspektive der Fachkräfte in der Diskussion der Forschungsergebnisse und in der Entwicklung künftiger Praxisforschung. Übereinstimmend verdeutlichten Thomas Bode von der AWO Göttingen, Lydia Grahlmann von der AWO Hildesheim, Annett Poste von der Stadt Hannover und Alis Rohlf von Lichtblick Dithmarschen e.V./Diakonie, dass sowohl in Niedersachsen als auch in Schleswig-Holstein derzeit der Bestand der Beratungsstellen in öffentlicher beziehungsweise gemeinnütziger Trägerschaft nicht wirklich gesichert ist, obwohl mit den hohen Heiz-/Energiepreisen und Mieten, anhaltend hoher Inflation und neuen digital gestützten Varianten der Ver- und Überschuldung wachsende Risiken für private Haushalte und damit zusätzliche Aufgaben für die „Soziale Schuldnerberatung“ verbunden sind. Vielerorts verlängern sich Wartezeiten, werden Wartelisten eingeführt und infolge des Fachkräftemangels lassen sich auch in der Sozialen Schuldnerberatung offene Stellen nur schwer wieder mit qualifizierten Fachkräften besetzen, so die Befunde aus der Praxis.

Zukünftige Themen und Zusammenarbeit

Am Ende des Workshops vereinbarten die Teilnehmenden, genau diese Themen, wie „Zugänge zu Beratung“, die „Nicht-Inanspruchnahme“, das fachliche Verständnis und Konzept von „sozialer Beratung“, sowie die Dimension der „Nachhaltigkeit“ im Rahmen weiterer Studien in engem Kontakt zwischen Forschung und Praxis mit aufzunehmen. Im Ergebnis war der deutsch-schwedische Workshop atmosphärisch sehr gelungen und fachlich-inhaltlich auf jeden Fall ertragreich, so die übereinstimmenden Rückmeldungen. Die Kooperation zwischen Prof. Uwe Schwarze von der HAWK und dem Forschungs-Team der Universität Eskilstuna aus Schweden wird sich 2024/25 fortsetzen und für Mai 2024 haben beide Hochschulen bereits einen ähnlichen Workshop in Schweden geplant. Erste Publikationen zum Ländervergleich werden zum Ende des Jahres 2023/Anfang des Jahres 2024 auch deutschsprachig erscheinen.