HAWK-Studierende auf Exkursion in Hildesheim und Neapel

Erscheinungsdatum: 13.09.2022

Studierende des Masterstudiengangs Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft der Fakultät Bauen und Erhalten besuchten das süditalienische Neapel, um Baudenkmale zu besichtigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurden. Dabei haben sie diese mit Hildesheimer Beispielen verglichen. Die Exkursion fand im Rahmen eines zweiwöchigen Blockseminars statt. Der Schwerpunkt der Lehrveranstaltung lag auf der Rekonstruktion von (teil-)zerstörten Sakral- und Profanbauten nach 1945 in Deutschland und Italien. Prof. Dr. Tiziana Caianiello leitete die Reise.

In einer Zeit, in der Bilder von Kriegszerstörungen allgegenwertig sind, beschäftigte sich die Lehrveranstaltung mit den Erfahrungen, die die Restaurierung bei dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gesammelt hat. Insbesondere konzentrierte sich die Veranstaltung auf die denkmalpflegerischen Kriterien und die damit verbundenen Werte, die den Wiederaufbau in Deutschland und Italien prägten. Die zwei Länder, die die faschistische Achse Berlin-Rom bildeten und sich daher in den ersten Jahren des Krieges auf derselben Seite befanden, erlitten erhebliche Kriegsschäden. Ihre Situation nach dem Krieg war allerdings unterschiedlich, da Italien 1943 kapituliert und auf der Seite der Alliierten den Krieg fortgeführt hatte.

 

Die Studienreise sollte auf die Kriegszerstörungen aufmerksam machen, die die Altstadt Neapels im Jahr 1943 besonders trafen, und auf die Entscheidungen, die Menschen im Rahmen des Wiederaufbaus gefällt haben.

In der ersten Blockwoche fand die Lehrveranstaltung in Hildesheim statt, wo die Studierenden Referate über die Wiederherstellung des Doms und des Knochenhaueramtshauses an den jeweiligen Orten hielten.

In der zweiten Woche ging es nach Neapel. Am Ankunftstag besuchte die Reisegruppe die Festung Sant’Elmo, von der aus sich ein 360-Grad-Panorama der Stadt Neapel öffnet. Dadurch konnten sich die Studierenden einen Überblick der Struktur der Stadt und ihrer städtebaulichen Geschichte verschaffen.

Hauptziele in den folgenden Exkursionstagen waren der Palazzo Reale (Königspalast) auf dem Piazza del Plebiscito und die Klosteranlage Santa Chiara. Der Königspalast, erbaut um 1600, wurde nicht nur durch die Bomben im Zweiten Weltkrieg beschädigt, sondern auch durch die Nutzung als Vergnügungsstätte der alliierten Soldaten von 1943 bis 1947. Die Wiederherstellung in den 1950er Jahren führten vor allem von neapolitanische Kunsthandwerkern und Künstler durch, die die verlorenen Ornamente und Gemälde auf der Basis der lokalen künstlerischen Tradition neu interpretierten. Im Palazzo Reale traf die Gruppe den Museumsdirektor Dr. Mario Epifani, der sein Konzept für die geplante Neupräsentation der historischen Appartements vorstellte. Mit ihm diskutierten die Studierenden darüber, wie sich die Veränderungen, denen der Palast über die Jahrhunderte unterzogen wurde, für das Publikum nachvollziehbar vermitteln lassen.

Die Kirche der Klosteranlage Santa Chiara – erbaut 1310-1340 – wurde durch die Bombardierung der Alliierten vom 4. August 1943 besonders getroffen. Die bereits 1944 entflammte Diskussion um den Wiederaufbau der Kirche, die in der Bevölkerung sehr beliebt war, trug zu einer grundsätzlichen Reflexion über die Prinzipien der Restaurierung bei, die Auswirkungen nicht nur auf die italienische Denkmalpflege, sondern auch international haben sollte. Die Studierenden konnten den Wiederaufbau von Santa Chiara mit dem Wiederaufbau des Hildesheimer Doms vergleichen: Beide Kirchen hatten vor dem Krieg eine barocke Ausstattung, welche die Verantwortlichen bei der purifizierenden Wiederherstellung der mittelalterlichen Formen in der Nachkriegszeit kaum berücksichtigten.

Nach der Besichtigung der Kirche Santa Chiara wurde die Gruppe von der Verantwortlichen der Klosterbibliothek, Dottssa.Fulvia Serpico, in Empfang genommen, die besonders empfindliche Manuskripte zeigte und sich insbesondere mit den Studierenden der Vertiefungsrichtung Schriftgut, Buch und Grafik über ihre Erhaltung austauschte.

Ein Ausflug nach Pozzuoli führte die Reisegruppe zum Tempel/Dom von Rione Terra. Ein Brand im Jahr 1964 beschädigte Pozzuolis Dom stark, der durch den Umbau eines römischen Tempels aus augusteischer Zeit entstanden war und eine barocke Ausstattung besaß . Die weitgehende Zerstörung der Kirche, die in diesem Fall nicht durch Krieg verursacht worden war, ließ die Reste des Tempels in Erscheinung treten. Die Rekonstruktion von 2014 lässt alle Fragmente des Tempels und der Kirche und somit alle historischen Schichten sichtbar. Architekten Marco Dezzi Bardeschi ergänzte sie mit neuen Teilen, die zwar antike Elemente andeuten, sich aber von den Ruinen deutlich absetzen und nicht die Funktion haben, ein stilistisch einheitliches Gebäude zu schaffen. Mit den Studierenden hob die Gruppe die Ähnlichkeiten dieser Lösung mit der Rekonstruktion des Neuen Museums in Berlin von David Chipperfield (2009) hervor und diskutierten die Vor- und Nachteile dieses Ansatzes im Vergleich zu einer purifizierenden Wiederherstellung wie in Santa Chiara.

Dank der Exkursion hatten die Studierenden die Möglichkeit, den Wiederaufbau von Sakral- und Profanbauten in Deutschland mit italienischen Beispielen zu vergleichen. Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der italienischen und deutschen Tradition der Restaurierung und Denkmalpflege konnten sie ausführlich diskutieren. Die Studierenden sind nach der Lehrveranstaltung in der Lage, Pro-Contra-Debatten über verschiedene Rekonstruktionskonzepte durchzuführen und die Restaurierungstraditionen Italiens und Deutschlands in ihre Stellungnahmen zu berücksichtigen.

Ein besonderer Dank gilt an: Dr. Mario Epifani (Direktor von Palazzo Reale, Neapel), Dott.ssa Fulvia Serpico (Verantwortliche für die Bibliothek San Ludovico da Casoria, Klosteranlage Santa Chiara, Neapel), Domenico Mocerino (Führer Archäologischer Parcours in Pozzuoli), das Akademische Auslandsamt der HAWK, das die Exkursion mitfinanziert hat.

Kontakt

Tiziana Caianiello
Kunstgeschichte, Theorie und Geschichte der Restaurierung
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